Herr Rößle, Sie waren zum Zeitpunkt der Gebietsreform acht Jahre alt. Haben Sie Erinnerungen daran?
Stefan Rößle: Ja, zum Zeitpunkt der Gebietsreform war ich acht Jahre alt. In der dritten und vierten Klasse hat man damals in der Schule im Fach Heimat und Sachkunde gelernt, was eine Gemeinde ist. Ich kann mich aber nicht daran erinnern, dass eine Gebietsreform in der Schule oder auch daheim ein Thema gewesen wäre, über das man besonders gesprochen hätte. Ich bin gefühlt immer im jetzigen Landkreis Donau-Ries aufgewachsen.
Mit der Gebietsreform wollte der Freistaat leistungsfähigere Gemeinden und Landkreise schaffen, die effizienter arbeiten. Ist das aus heutiger Sicht für das Donau-Ries gelungen?
SR: Ja, dieser Schritt war absolut notwendig. Die Vielzahl an Gemeinden und Landkreisen, die es damals gegeben hat, konnten die Aufgaben, die dazu gekommen sind, nicht mehr bewerkstelligen. Respekt vor allen, die damals politische Verantwortung getragen haben. Sowas anzugehen, durchzustehen und zu vollziehen erfordert politischen Mut. Ich würde nun sogar so weit gehen und sagen, ob man nicht auch andenken müsste, die jetzigen Strukturen zu überdenken. Denn es zeigt sich, dass die Aufgaben für die Gemeinden permanent wachsen. Das gleiche gilt für die Landkreise. Da stellt sich jetzt schon die Frage, sind diese Einheiten noch zeitgemäß? Eine interessante Geschichte bezüglich der Gebietsreform: Meine Heimatgemeinde Oberndorf wurde im Zuge der Gebietsreform zu einer Verwaltungsgemeinschaft mit Bäumenheim und Mertingen. Die Gemeinden sind aber damals nicht miteinander klargekommen und haben es über politische Beziehungen geschafft, dass 1980 die Verwaltungsgemeinschaft wieder rückgängig gemacht wurde. Diese Gemeinden haben sich seither sehr gut gemacht. Aber es ist eine riesige Herausforderung für die drei Verwaltungen, um alles zu leisten. Sodass man, ohne dass ich es einfordere, überlegen kann, ob eine Zusammenarbeit nicht doch sinnvoll wäre.
Ist aus der „arrangierten Ehe“, die ja durchaus nicht ganz einfach zu Stande kam, mittlerweile eine grundsolide Partnerschaft geworden? Gerade unter den beiden großen Kreisstädte gab es in der Vergangenheit die ein oder andere Spannung und ein Konkurrenzdenken ist bis heute spürbar.
SR: Ich bin seit 20 Jahren Landrat und bin damals mit dem festen Willen angetreten, diesen Landkreis weiter zu stärken, sodass man gemeinsam an einem Strang zieht. Das ist in vielen Punkten gelungen, aber es gibt schon noch dieses Konkurrenzdenken. Es muss immer fair sein, aber ein gewisser Konkurrenzkampf belebt auch – so anstrengend das auch sein mag. In den letzten Jahren gab es die Unstimmigkeit, dass Donauwörth – für mich überraschend – Oberzentrum geworden ist. Nördlingen, genauso groß, aber nicht. Die Nördlinger sind auf die Barrikaden gegangen und die Angelegenheit ging sogar bis zum Ministerpräsidenten. Die Verantwortlichen haben erwirkt, dass Nördlingen auch Oberzentrum wird. Da kann man jetzt sagen, das ist Konkurrenz untereinander. Es hat aber letztlich dazu geführt, dass wir zwei Oberzentren im Landkreis haben.
Die Festlegung des Hauptsitzes für das Landratsamt war damals stark umkämpft – ist die Entscheidung diesen nach Donauwörth zu verlegen rückblickend richtig gewesen?
SR: Wenn ich jetzt sagen würde, dass die Entscheidung richtig gewesen ist, würden die Donauwörther super sagen und die Nördlinger würden über mich herfallen. Und andersrum genauso. (lacht) Es war damals eine sehr schwierige Gefechtslage. Erst war Nördlingen der Sitz und durch überpolitische Überzeugungsarbeit hat es gewechselt. Ich glaube, dass man sich über die Jahre hinweg im Landkreis damit arrangiert hat, und wir haben für Nördlingen einige Verbesserungen hinbekommen. Als die Stadt Nördlingen zum Beispiel den Bahnhof kaufte, war mir klar, dass da die Außenstelle für das Landratsamt hinein muss. Ich denke, dass das ein riesiger Schritt war. Mit dem Gebäude haben wir ein noch besseres Angebot für die Bürger und Bürgerinnen schaffen können. Zudem gab es einige Behördenverlagerungen, wie zum Beispiel das Amt für Maßregelvollzug oder die Aufstockung des Finanzamtes Nördlingen. So wie es jetzt ist, funktioniert es gut.
Der Landkreis wird 50 Jahre alt. Seit 20 Jahren sind Sie Landrat. Auch ein Jubiläum. Verglichen mit Ihrer ersten Amtszeit: Was hat sich am meisten verändert?
SR: Ich meine schon, dass wir einige Sachen gut hinbekommen haben und weitergebracht haben. Ich sag mal das Stichwort Wirtschaftsförderung. Es gab als ich angefangen habe den Wirtschaftsverband Ries. Dieser war fest verankert mit tollen Projekten und dann haben wir das Wirtschaftsforum Donau-Ries eingerichtet. Im Laufe der Jahre haben wir es geschafft, die Marke Donauries zu schaffen. Ein Netzwerk, das von allen anerkannt und geschätzt wird. Wir haben die finanziellen Mittel, man kennt sich und tauscht sich aus. Die Marke ist ein richtiger Fortschritt, der sich während meiner Amtszeit ergeben hat und auf den man stolz sein kann.
Warum gibt es keine Veranstaltung zum 50. Geburtstag? Die Stadt Würzburg zum Beispiel feiert drei Tage lang.
SR: Wir haben uns viel unterhalten im Vorfeld. Unser Plan ist es, eine schöne Festtagssitzung im Juli im Schloss in Oettingen zu machen. Das wird sicherlich der zentrale feierliche Akt, wo man dankbar zurückblickt auf die 50 Jahre. Eigentlich wollten wir im Rahmen der Donauries-Ausstellung das Jubiläum begehen. Das wäre der optimale Rahmen gewesen, wo wir uns als Landkreis, aber auch wo sich Vereine oder Gemeinden hätten präsentieren können. Die Donauries-Ausstellung wurde aber leider vor Kurzem abgesagt. Nun ist gar nicht so leicht, noch etwas kurzfristig auf die Beine zu stellen. Ich hoffe aber, dass auch die Städte und Gemeinden, die ebenso Jubiläum feiern, das Thema aufgreifen und dies auf unterschiedliche Arten begangen wird.
In Ihrer 20-jährigen Amtszeit, was war die wohl maßgeblichste Entscheidung, die Sie für den Landkreis jemals treffen mussten?
SR: Das spannendste diesbezüglich was unseren Landkreis enorm vorangebracht hat, war die Gründung des gemeinsamen Kommunalunternehmens im Jahr 2008. Bis dato hatten wir das selbstständige Stiftungskrankenhaus in Nördlingen und die beiden Kreiskliniken. Da ist eine Konkurrenz-Situation entstanden, die sehr teuer war und insgesamt nicht sehr effektiv. Das kleinere Krankenhaus in Nördlingen war immer bestrebt, das gleiche anzubieten wie in Donauwörth. Es gab eine Vereinbarung, dass alles was Nördlingen an Ausgaben hat, zu 80 Prozent vom Landkreis bezahlt werden muss. Das hat im Laufe der Jahre zu immer mehr Unmut geführt. Aus Donauwörther Sicht hat man die Konkurrenz mitfinanziert. Gott sei Dank war die Erkenntnis da, dass dies ein unguter Zustand ist. Wir haben unsere Krankenhäuser in kommunaler Hand und das ist ein richtiger Erfolg. Für 2021 haben wir ein positives Ergebnis, was alles andere als selbstverständlich ist.
Seit dem Jahr 2017 ist der Landkreis schuldenfrei – geplante Bauprojekte wie die Sanierung des Donauwörther Gymnasiums werden nun aber deutlich teurer als geplant. Kann der Landkreis sein Siegel „schuldenfrei“ in den nächsten Jahren beibehalten?
SR: Das kann man heute noch nicht abschätzen. 2017 waren wir zum ersten Mal schuldenfrei, auch das war ein spannender Prozess, der nicht unumstritten war. Das gibt uns unheimlich viel Bewegungsfreiheit. Als ich angefangen habe, haben wir jedes Jahr 2,5 Millionen Euro Tilgung bezahlt. Dieses Geld haben wir jetzt zur Verfügung, das ist eine riesige Errungenschaft. Wir haben Corona zwei Jahre überstanden – natürlich auch dank vieler staatlicher Unterstützungen. Aber es war auch nicht absehbar, ob das schadlos an uns vorbeigeht. Bevor die eine Krise nun bewältigt war, gab es nun mit dem Krieg in der Ukraine eine weitere. Da sind wir in einem neuen Prozess mit aktuell sehr vielen Fragezeichen. Meine große Leidenschaft ist ein Geopark Ries Besucherzentrum, vor allem da wir nun UNESCO Geopark sind. Das ist ein Großvorhaben, das man nicht eben aus der Portokasse bezahlen kann. Da werden wir nicht umhin kommen dieses mit einem Kredit zu finanzieren. Es ist eine große Errungenschaft, dass wir schuldenfrei sind. Natürlich wäre es schön, wenn wir es halten können. Es ist aber nicht verboten Schulden zu machen, manchmal ist es auch sinnvoll.
Was ist der größte Pluspunkt des Landkreises Donau-Ries?
SR: Es gibt schon mehrere, aber ganz aktuell bin ich überwältigt, dass wir UNESCO Geopark geworden sind. Es gibt nur acht UNESCO Geoparks in ganz Deutschland, nur 170 auf der ganzen Welt. Da steckt so viel Potenzial für den Landkreis und die Region drin, was vielen noch nicht ganz bewusst ist. Das sollten wir auf jeden Fall nutzen.
Wenn Sie drei Wünsche für den Landkreis Donau-Ries frei hätten, würden Sie sich wünschen, dass ...
SR: ... wir auf der Erfolgsspur bleiben.
... wir lernen, dankbar zu sein.
... auch im Donau-Ries-Kreis Frieden bleibt.