„Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu überdimensionalen Möglichkeiten.“ Mit diesem Zitat des amerikanischen Schriftstellers Aldous Huxley eröffnete der Nördlingen Oberbürgermeister David Wittner offiziell das 4. Rieser Sommerlesefest in der Squindoschule. Noch bis 30. Juni finden in mehr als 26 Grund- und weiterführenden Schulen im Ries über 651 Autorenlesungen statt.
„Das sommerliche Lesen bereitet Kindern und Jugendlichen in Nördlingen und dem Ries nicht nur viel Spaß und Freude, sondern weckt das Interesse am Lesen von Büchern, so der Oberbürgermeister, nachdem er die Vertreter der Geistlichkeit, der Politik, Autoren, Sponsoren und die Schulfamilie begrüßt hatte. Nach seinen Worten sei das Lesefest eine Veranstaltung, die in Umfang und Qualität ähnlichen Veranstaltungen in Großstädten in nichts nachstehe. Ein solche umfangreiches Programm auf die Beine zu stellen, erfordere Initiative, Engagement und Durchhaltevermögen. Ohne die tatkräftige Unterstützung zahlreicher Bürger*innen und Sponsoren sei die Umsetzung des Sommerlesefests nicht möglich. Sein besonderer Dank gelte Rudi Scherer und Organisator Ralf Lehmann.
Wie kommt man an alle Kids?
Ralf Lehmann, der seit 1983 Buchhändler in Nördlingen ist, hatte die Idee 2007 nach einer Podiumsdiskussion zum Thema „Leseförderung“ in München. Bereits 2008 fand das 1. Rieser Sommerlesefest statt. Ihm sei es nicht nur wichtig gewesen außerschulische Institutionen ins Boot zu holen, sondern vor allem flächendeckend alle Kinder zu erreichen. „Wie kommt man an alle Kids?“ sei damals die Frage gewesen, so Lehmann. Und so entstand die Veranstaltungsreihe der Stadt Nördlingen in Zusammenarbeit mit der Stadtbibliothek und der Rieser Volkshochschule. Das Besondere des alle fünf Jahre stattfindenden Lesefestes ist es, dass namhafte Autorinnen und Autoren an die Schulen kommen und dort aus ihren Kinder- und Jugendbüchern vorlesen. Den Etat bezifferte Lehmann auf 25.000 Euro, wobei es sich um eine Mischkalkulation handelt, bei der auch die Eltern einen finanziellen Beitrag leisten.
„Wenn Lehmann anruft, ist es immer was Schönes!“, attestierte Schulleiterin Marga Riedelsheimer und erzählte, wie es damals zum 1. Lesefest kam. Zuerst einmal habe sie gedacht, dass das natürlich mit Arbeit verbunden sei, habe kurz Rücksprache mit dem Kollegium gehalten und dann zugesagt. Lesen nehme einen extrem hohen Stellenwert im Unterricht ein. Allerdings gehe es nicht rein um die Fähigkeit zu lesen, sondern viel mehr um das Textverständnis. „Das macht den Unterschied, denn nur so kommt Lesefreude auf, wenn das Lesen nicht Arbeit ist, sondern wenn man es genießen kann“, so Riedelsheimer wörtlich. Bei 30 Nationen sei es nicht selbstverständlich in Deutscher Sprache zu verstehen, sagte sie.
Immer ein Buch auf dem Nachtkästchen habe Claudia Marb. Allerdings käme sie über drei Seiten nicht hinaus, weil sie dann meistens einschlafe, erklärte die stellvertretende Landrätin. Sie stamme noch aus der Generation mit nur drei Fernsehprogrammen und habe deshalb viel gelesen. „Lesen ist ein grenzenloses Abenteuer der Kindheit“ zitierte sie die schwedische Kinderbuchautorin Astrid Lindgren. Das Sommerlesefest betitelte sie als „Festival der Literatur in Nördlingen“. Ihrer Meinung nach könne man gar nicht früh genug mit der Leseförderung beginnen.
Zauber des Lesens
Wie wichtig Vorlesen vor dem Lesenlernen ist, erklärte Festredner Studiendirektor Simon Dax vom Institut für Schulqualität und Bildungsforschung ISB München, das unter anderem didaktische Konzepte für Lehrkräfte zum Thema Lesen entwickelt.
10 Jahre unterrichtete er am Theodor-Heuss-Gymnasium THG in Nördlingen Deutsch. „'Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen', heißt es in einem afrikanischen Sprichwort“, erläuterte Dax. Deshalb müssten sich die Eltern und Erwachsenen ihrer Vorbildfunktion bewusst sein. Irgendwann würden die Kinder die Erwachsenen nachahmen und selbst lesen wollen. Er erwähnte eine Anekdote. Der kleine Junge eines Freundes war es gewohnt, dass ihm der Opa immer vorgelesen hat. Eines Tages, als der Großvater mit Buch und Brille im Sessel saß, schnappte sich der Bub beides und verkroch sich unter dem Tisch. Doch trotz der Brille konnte er nicht lesen, weil er es noch nicht gelernt hatte und war natürlich sichtlich enttäuscht. Eine wesentliche Rolle spielten ihm zufolge die Kinderbuch-Autoren, „weil sie die Kinder passgenau und altersgerecht abholen.“ Kinder seien zudem phantasievoll. „Gib einem Kind einen Holzstock und einen Nachmittag Zeit, und es erlebt die tollsten Abenteuer als Pirat!“ Dax erklärte auch, warum unserer Buchstaben eigentlich Buchstaben heißen. Odin, der Göttervater, bekam 16 magische Zeichen, die bekannten Runen. Mangels Papier wurden Texte in Holzstäbe geritzt und geschnitzt. „Manchmal verwendete man Buchenholzstäbe, und daher kommen die Buchstaben. Aus Buchstaben werden Wörter, aus Wörtern Geschichten, die Kopf und Herz ansprechen.“ Wichtig sei es aber auch, über das Gelesene zu reden.
Buntes Rahmenprogramm
Musikalisch umrahmt wurde die Eröffnungsfeier von der Schulband. Die Vielfalt der unterschiedlichen Nationen zeigte die Tanzgruppe mit einem Flaggentanz.
Besonders beeindruckt war das Publikum vom mehrsprachigen Kamishibai (Minibühne), einem Erzähltheater, zum Bilderbuch „Trau Dich Koalabär“. Jeweils in Deutsch und in ihrer Muttersprache erzählten Schüler*innen die Geschichte des Koalabären Kimi, und wie dieser seine Angst überwindet und Freunde findet.