Als Abraham geboren wurde, hatte er einen offenen Gaumen und einen Herzfehler. Er war zu schwach, um bei seiner Mutter Milch zu trinken – die Ärzte konnten und wollten ihm nicht helfen. „Geben Sie kein Geld mehr aus, das Kind wird nicht überleben“, bekam der Vater im Krankenhaus im albanischen Shkodra
zu hören. Die Leute im Dorf tuschelten schon, seine Frau hätte ein Monster geboren. Die Ärzte ließen Mutter und Vater nicht zu ihrem Neugeborenen – man hatte ihn zum Sterben abgelegt.
In seiner größten Not wandte sich Abrahams Vater an ein Kloster in der Nähe der Stadt. Er hatte von anderen gehört, dass dort eine Ordensschwester lebt, die all denjenigen hilft, um die sich in Albanien sonst niemand kümmern will. Schwester Christina hat sofort gemerkt, dass Abraham ihre Hilfe dringend braucht. Vielleicht waren es ihr Selbstbewusstsein, ihr Gottvertrauen oder ihre albanischen Schimpftiraden mit süddeutschem Akzent – sie schaffte es letztendlich, dass man sie zu dem Neugeborenen ließ. Noch am gleichen Tag baten seine Eltern die Schwester, ihren Säugling bei sich im Kloster aufzunehmen. Denn im Dorf in den Bergen, in dem Abrahams Eltern in ärmlichen Verhältnissen leben, hätte ihr schwacher, behinderter Sohn keine Überlebenschance
gehabt.
In seinen wenigen Lebenstagen hatte Abraham kaum zu trinken bekommen und, dass das Kind die ersten Tage im Kloster überlebt, konnte sich kaum jemand vorstellen. Schwester Christina begann, das Baby mit Traubenzuckerlösung wieder aufzupäppeln.
Abraham ist heute 11 Jahre alt und hat erst im vergangenen Jahr mit Schwester Christina, einem anderen behinderten Jungen, der auch im Kloster lebt und mehreren Mitarbeitern und Ordensschwestern Urlaub in Christinas Heimat Donauwörth gemacht. Der Junge wurde bereits zwei Mal in der Schweiz operiert. Er konnte dadurch zwar nicht vollständig geheilt werden, aber hat sich im Kloster zu einem lebensfrohen Kind entwickelt.
Christina Färber wurde 1957 im Donauwörther Stadtteil Nordheim geboren. Nach ihrer Schulzeit erlernte sie den Beruf der Krankenschwester und Heilpädagogin. Sie leitete das Donauwörther
Bürgerspital und pfl egte später ihren schwer erkrankten Vater in Nordheim. Als dieser verstarb, ergab es sich, dass sie über den Kontakt zu Franziskanerschwestern aus Dillingen gefragt wurde, ob sie in Albanien in Flüchtlingslagern als Krankenschwester arbeiten wolle. Es war die Zeit des Kosovokrieges und viele Flüchtlinge retteten sich in Lager im armen Albanien.
Als der Krieg beendet war, zogen die Flüchtlinge wieder in ihre Heimat. Die Albaner blieben noch ärmer zurück als sie vorher waren. Sie hatten trotz Armut und schwierigsten Umständen Familien aus Kriegsgebieten aufgenommen und waren nun – mitten in Europa – verlassen von Hilfsorganisationen und staatlicher Unterstützung.
2002 trat Christina Färber in einen katholischen Schweizer Orden ein und fand dort Mitstreiterinnen. Kurze Zeit später gründete sie mit Schwester Michaela ihr „Klösterle“. In der dazugehörigen Ambulanz versorgt die gelernte Krankenschwester Kinder und Erwachsene, die die finanziellen Mittel für eine Behandlung im öffentlichen Krankenhaus nicht aufbringen können. Im Kinder- und Jugendhaus Arche Noah betreut Schwester Christina gemeinsam mit ihren Mitarbeitern gut 70 Kindergartenkinder, deren Eltern einen öffentlichen Kindergarten nicht bezahlen können und bietet Gruppenstunden für Jugendliche an.
Für die Kinder und Jugendlichen ist das Kloster Zufluchtsort in ihrem oft schwierigen Alltag. Dort bekommen die Kinder ein warmes Essen, Geborgenheit und eine Zukunftsperspektive. Der Donauwörther Ordensschwester ist eine gewaltfreie Erziehung besonders wichtig, diese ist in Albanien nämlich nicht üblich. Deshalb stellt sie kleine aber wichtige Bedingungen an die Eltern. Zwar verlangt sie kein Geld für die Kinderbetreuung, will aber, dass Väter und Mütter beim Elterntreff über ihre Erziehungsmethoden aufgeklärt werden. Auch Opfer der schrecklichen Blutrache, die bis heute gängige Praxis in Albanien ist – aber vom Staat geleugnet wird –, unterstützt die Schwester. Manchmal ist ihr sogar schon das fast Unmögliche gelungen – sie konnte zwei zerstrittene Familien versöhnen.
Ohne die Hilfe aus ihrer Heimat könnte Schwester Christina nicht in diesem Ausmaß helfen, wie sie es tut. Christine Müller aus Nordheim ist eine der Unterstützerinnen. Sie kennt die Schwester noch aus ihrer Jugend. Gemeinsam mit anderen hat sie vor über zehn Jahren einen Förderverein gegründet, um von Deutschland aus in Albanien zu helfen.
Jährlich organisiert der Verein einen Hilfstransport nach Shkodra. Erst im Juli hätten die Helfer wieder knapp sechs Tonnen Hilfsgüter in einen Lkw gepackt, erzählt Müller. Kleidung, Medikamente, Verbandsmaterial, Hygieneartikel, Spielsachen und Kleinmöbel wurden in Albanien mit großer Freude empfangen.
Christine Müller und die anderen Mitglieder im Förderverein organisieren regelmäßig Veranstaltungen wie einen Stand am Osterbasar oder den Münsterlauf zugunsten des albanischen Klosters, um Schwester Christina nicht nur mit Sachspenden, sondern auch finanziell zu unterstützen. Wie seit Jahren, ist der Förderverein auch in diesem Jahr wieder mit einem Stand auf dem romantischen Weihnachtsmarkt in Donauwörth vertreten. Der Erlös aus Weihnachtsschmuckverkauf und Glühweinausschank geht direkt zu den Menschen, die Weihnachten nicht unbeschwert feiern können, so wie wir das tun.