Das Ries zählt zu den bedeutendsten prähistorischen Siedlungskammern im süddeutschen Raum. Was für die Wissenschaft eine schier unerschöpfliche Quelle zur Forschung ist, ist für Bauwillige oft ein Grund für Ärgernis. Häufig werden deshalb Funde verschwiegen und gehen so für die Erforschung unserer Geschichte unwiederbringlich verloren.
Durch die weiträumige Erweiterung unserer Ortschaften über die Jahrhunderte lang bestehenden Grenzen, und durch Erschließung neuer Siedlungsgebiete, stößt man immer wieder auf Relikte aus längst vergangenen Zeiten. So war es auch in Oettingen, als 1974 bei Baumaßnahmen im Neubaugebiet „Auf der Warthe“ ein Bestattungsplatz angeschnitten und eine unbekannte Anzahl von Gräbern zerstört wurde. Bei einer Nachsuche wurden nur noch Skelettreste, zwei Langschwerte und ein Kurzschwert entdeckt.
Schon der Name Oettingen mit seiner „-ingen“-Endung deutet auf eine alamannische Gründung nach dem Zusammenbruch der römischen Herrschaft im Gebiet nördlich der Donau hin. Lange wurde, allerdings vergeblich, nach Spuren einer alamannischen Siedlung gesucht, und bis heute ist deren Standort nicht bekannt.
Der alamannische Reihengräberfriedhof "Auf der Warthe"
Anfang 1975 wurden bei einem Hausneubau in der Uhlandstraße erneut Skelettreste aufgefunden. Durch das Entgegenkommen des Grundstücksbesitzers ergab sich dann die Möglichkeit, ein bis dahin unbebautes Grundstück an der Lessingstraße näher zu untersuchen. Schon beim Abschieben der obersten Bodenschicht zeigten sich die dunklen Verfärbungen der Grabschächte. Insgesamt konnten 23 Gräber aufgedeckt und untersucht werden. Damit sind 26 Bestattungen sicher nachgewiesen. Sie stellen allerdings nur einen kleinen Teil des ehemaligen Bestattungsplatzes dar, der mit Sicherheit wesentlich größer und umfangreicher gewesen sein muss. Mit den in den Gräbern entdeckten Beigaben lässt sich der Friedhof in die erste Hälfte des 6. Jahrhunderts, etwa in die Jahre um 530 bis 550 n. Chr. datieren. Konkrete Aussagen bezüglich der Sozialstruktur, der Größe der Siedlung und der Belegungsdauer sind allerdings nicht möglich.
Die Grabbeigaben zeigen, dass es sich um eine Bevölkerung mit einem soliden Besitzstand gehandelt hat. An den wenigen Bestattungen des Gräberfeldes lassen sich aber deutliche Unterschiede im sozialen Gefüge erkennen. So war bereits bei der Ausgrabung erkennbar, dass es sich bei der Bestatteten in Grab 13 um eine besondere Person innerhalb der Siedlung handeln musste. Der Verstorbenen, eine junge, erwachsene Frau, wurden eine Scheibenfibel, eine S-Fibel, eine Bronzeschnalle, eine Bronzenadel, zwei Perlenketten, ein eisernes Hackmesser und ein schwarzes Tongefäß mit in das Grab gegeben. In
einer Tasche trug sie ein Amulett, eine durchbohrte römische Münze, einen Beinkamm und einen Bronzeanhänger.
Aber erst in den Werkstätten der Restauratoren stellte sich die almandinverzierte Scheibenfibel, die die Funktion einer Gewandspange hatte, als eine Besonderheit dar. Auf ihrer Rückseite fand sich nämlich bei der Restaurierung eine eingeritzte Runeninschrift.
Sie lautet: Auija Birg
Der erste Teil der Inschrift war wohl der Name der Besitzerin der Gewandspange, der zweite Teil wird mit „die das Glück bewahrt“ interpretiert. Damit wird uns der bislang älteste bekannte Name einer Oettingerin, nämlich Auija, überliefert.
Bisher ist die einstige Lage der zum Friedhof gehörenden Siedlung, sie muss sich nicht weit vom Friedhof entfernt befunden haben, unbekannt. Als ein möglicher Standort käme das Areal eines römischen Bauernhofes in Betracht, dessen Reste im Jahre 2002 nur etwa 300 Meter westlich vom Friedhof entfernt ausgegraben wurden. Es ist wahrscheinlich, dass sich die alamannischen Siedler in der Umgebung der verlassenen Gebäude niedergelassen und das Land weiterbewirtschaftet haben, da sich in den untersuchten Gräbern mehrere Gegenstände aus der Römerzeit fanden.
Die große Entfernung des frühmittelalterlichen Bestattungsplatzes „Auf der Warthe“ zur heutigen Stadtmitte, etwa 800 Meter, spricht eindeutig dagegen, dass sich aus der zum Friedhof gehörenden Siedlung das spätere Oettingen entwickelt hat. Oettingen muss aus einer anderen alamannischen Ansiedlung, deren Reste im überbauten Altstadtbereich liegen, seinen Ursprung genommen haben.
Vermutlich ist die Verlagerung des ehemaligen römischen Wörnitzübergangs bei der Aumühle nördlich von Oettingen in das heutige Stadtgebiet auch die Ursache gewesen, dass die alamannische Siedlung „Auf der Warthe“ aufgegeben und in das verkehrsgünstigere Gebiet nahe der heutigen Wörnitzbrücke verlegt worden ist. Im Bereich des heutigen Gruftgartens lag wohl der Herrenhof, der zwischen 822 und 842 in einem Güterverzeichnis des Klosters Fulda genannt wird. 1242 wird in diesem Bereich eine oettingische Burg erwähnt.
Leider bekommen die Oettinger*innen die zahlreich geborgenen Funde aus ihrer Vergangenheit nicht zu sehen, da sie heute, wie so viele interessante Funde aus dem Ries, im Depot der Prähistorischen Staatssammlung in München aufbewahrt werden.
Text: Gastautor Werner Paa, Heimatforscher und Autor