Heimat & Tradition

Donau-Rieser Geschichtsstunde: Auf Spurensuche im Rainer Stadtarchiv

Edith Findel ist Archivarin in Rain. Bild: Mara Kutzner
Edith Findel ist Historikerin und studierte Volkskundlerin. Seit 30 Jahren ist sie Stadtarchivarin und Leiterin der Rainer Museen. Im Heimatmuseum veranstaltet sie regelmäßig Sonderausstellungen zu verschiedenen kulturhistorischen Themen. Unserer Redakteurin Mara Kutzner hat sie einen seltenen Einblick in die Schätze des Archivs im Keller des Rainer Rathauses gewährt.

Rain war immer schon Grenzstadt zwischen Bayern und Schwaben. Bis 1972 gehörte Rain zum Landkreis Neuburg a.d. Donau und war damit altbayerisch. Mit der Gebietsreform wurde Rain samt zehn Eingemeindungen in den Landkreis Donau-Ries eingegliedert. Vor allem diese besondere Verwaltungsgeschichte zwischen Altbayern und Schwaben macht den Bestand im Rainer Stadtarchiv so interessant. 

Das älteste Dokument im Rainer Stadtarchiv stammt von 1245. Darin ist ein Hof „Sallach“ erwähnt. Eine andere Urkunde, die im Hauptstaatsarchiv in München aufbewahrt wird, erwähnt Rain erstmals als Stadt. Die eigentliche Stadtgründungsurkunde ist aber verschollen. „Vielleicht taucht sie irgendwann noch auf. Man darf immer auf den Zufall hoffen“, sagt Edith Findel. Es wird vermutet, dass die Stadt um 1250 gegründet wurde. 

„Nachverdichtung“ im 15. Jahrhundert

In einem Grundbuch aus dem Jahr 1494 sind erste Grundstücksbeschreibungen samt Namen der Grundstücksbesitzer, Häuser, Gärten und Hausnummern in filigraner Schreibschrift eingetragen. Deutlich erkennbar sind auch mehrere Häuser mit zusätzlichen Buchstaben als Hausnummern. Diese wurden immer dann verwendet, wenn zwischen zwei bestehenden Gebäuden neue Häuser errichtet wurden – „Nachverdichtung“ anno 1494 also.

Bild: Mara Kutzner

Die Armen waren von den Reichen abhängig

Mehrere Urkunden zeugen von einem guten Sozialleben in der Stadt. Gleich eine ganze Reihe an Stiftungen für unterschiedliche Zwecke hat es in Rain gegeben. Wohlhabende Bürger ermöglichten dadurch zum Beispiel Bräuten die Hochzeit oder konnten Messen stattfinden lassen. Diese Urkunde von 1533 belegt eine „Pfründe“. Die Bürgerin Elisabeth Wagemann stiftete einem mittellosen Mitbürger einen Platz im Spital und garantierte ihm dadurch Unterkunft, Verpflegung und medizinische Versorgung.

Bild: Mara Kutzner

Ein Stück Zeitungsgeschichte

Von 1846 bis 1923 erschien regelmäßig das Rainer Wochenblatt. Erst einmal die Woche, später wurden wöchentlich bis zu drei Ausgaben mit vier Seiten gedruckt. Im Rainer Stadtarchiv sind die Ausgaben nahezu vollständig erhalten. Ein „Unikatsbestand“, wie es die Archivarin Edith Findel nennt. Bis heute sind die Rainer Wochenblätter für sie eine „unschätzbare Quelle“. Zum Beispiel helfen Inserate in den Zeitungen, um Historien von Rainer Firmen zu recherchieren. So wurden im Anzeigenteil des Rainer Wochenblatts 1894 unter anderem „Schöne Zwiebeln, kleine haltbare Sorte (nicht zu vergleichen mit der großen minderwertigen italienischen Zwiebel)“ angeboten. In Wächtering wurde eine neue „Dampfschneidsäge“ beworben und ein Rainer Kaufmann bot Vanille, Rum und Cognac an. 

Am „unsinnigen Donnerstag“ 1894 lud außerdem Witwe Klara Kaspar zu einer Faschingsunterhaltung ein und der Burschenverein warb für den Faschingsball am Sonntag. Der Fasching in Rain lässt sich übrigens bis ins Jahr 1545 zurückverfolgen. Ein Lehrer aus Lauingen wurde damals verurteilt. Statt seinem Dienst nachzugehen, trieb er sich drei Tage lang auf dem Fasching in Rain herum. Ob es damals bereits einen Faschingsumzug gegeben hat, ist nicht belegt.

Bild: Mara Kutzner

Umfangreiche Sammlung zur Rainer Geschichte

Der 1817 in Rain geborene Ludwig Wilhelm Fischer war eigentlich Landrichter, in seiner Freizeit beschäftigte er sich aber unermüdlich mit der Geschichte seiner Heimat. In akribischer Feinarbeit hat er zahlreiche Hefte für Rain und die umliegenden Orte angelegt und dort alle historischen Ereignisse notiert. Seine Ausführungen reichen bis hin zu „Keltischen, römischen und germanischen Alterthümer auf der rechten Seite des Leches“.

Bild: Mara Kutzner

Burgfrieden bis ins Umland

Die Stadt Rain erhielt mit dem „Freiheitsbrief von 1776“ die Bestätigung ihres ungewöhnlich großen Burgfriedens. Mit „Burgfrieden“ bezeichnete man damals den Hoheits- und Gerichtsbezirk von Städten und Burgen. Die niedere Gerichtsbarkeit war also nicht nur auf die Ringmauern der Stadt beschränkt, sondern reichte weit über die Grenzen der Stadt hinaus. Die Urteile über kleinere Vergehen wie Brotdiebstahl, Mundraub oder Hausfriedensbruch wurden direkt in Rain gefällt.

Bild: Mara Kutzner

Bett und Stuhl für den Herzog

Im Rainer Stadtarchiv sind sämtliche Protokolle des Stadtrats aufbewahrt. Sie dokumentieren Beschlüsse und Entscheidungen des Rats. So wurde zum Beispiel der Salzhandel in Rain verhandelt, oder 1545 vor einem Besuch des Herzogs in Rain veranlasst, dass die Bürger ihre Betten, Schränke und andere Möbel ins Schloss räumen müssen. Das Schloss war außer den Amtsräumen unmöbliert und der Herzog hätte sonst keine standesgemäße Unterkunft gehabt.

Bild: Mara Kutzner

Upcycling mit alten Bibelseiten

Schon 1656 handelte man in Rain im Sinne der Nachhaltigkeit. Sämtliche Rechnungen mit allen Ein- und Ausgaben des Spitals sind im Archiv erhalten. Um Papier zu sparen, hat man die Dokumente bereits im 17. Jahrhundert kurzerhand in alte Pergamentbögen von Bibeln eingebunden. Die Rechnungen werden dadurch bis heute vom festen Pergament geschützt und die alten Bibelseiten haben eine zweite Verwendung gefunden. (Mara Kutzner)

Bild: Mara Kutzner

Dieser Artikel ist in der blättle Ausgabe 58 September/Oktober 2024 erschienen und ist auch in unserem Webkiosk als E-Paper verfügbar.