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Einmal im Monat verkündet die Bundesagentur für Arbeit (BA) die aktuellen Arbeitslosenzahlen. Für Juni 2022 zeigt sich: Die Arbeitslosigkeit ist gestiegen – auf 2,363 Millionen oder 5,2 Prozent. Die Ursache liegt vor allem in der Erfassung der Geflüchteten aus der Ukraine und auch für die kommenden Monate wird aus diesem Grund eine weitere Zunahme erwartet.

Dennoch ist der Arbeitsmarkt gemäß den Angaben des BA-Chefs Dieter Scheele aktuell stabil und die Beschäftigungsquote steigt. Aber warum sind die Arbeitslosenzahlen so hoch? Welche Branchen sind betroffen und werden die Zahlen nicht etwas geschönt? Diesem Thema widmen wir uns heute.

Was sind Gründe der hohen Arbeitslosenzahlen?

In den letzten sieben Jahren lag die Arbeitslosenquote in Deutschland stets zwischen fünf und sechs Prozent. Woran liegt das? In diesem Zuge müssen wir uns auch die Veränderungen bei der Zahl der Erwerbstätigen ansehen.  

Zu den mindestens fünf Prozent der Arbeitslosen zählt im Grunde zunächst der „harte Kern“ – die Langzeitarbeitslosen. Der Prozentsatz ändert sich darum herum nun jedes Jahr aufgrund der Kurzzeitarbeitslosen.

Zuletzt konnte man der Wirtschaft von einer großen Kündigungswelle sprechen, die sich durch alle Branchen zog. Die Hauptursache ist eine tiefe Unzufriedenheit („Great Resignation“) qualifizierter Arbeitskräfte, die genug haben von den Arbeitszeiten, den Überstunden, der hohen Belastung, schlechter Bezahlung bei steigender Inflation und zum Teil auch dauerhaft unzufriedenen Kunden. Die Liste ließe sich um viele weitere Punkte erweitern. Alles in allem sind vor allem jüngere Beschäftigte heutzutage deutlich wählerischer geworden und nehmen nicht mehr den erstbesten Job an. Die Work-Life-Balance ist mittlerweile so stark in den Vordergrund geraten, dass viele Jobs für diese Menschen nicht mehr in Frage kommen.

Sowohl Gastronomie als auch Handel, Handwerk und andere Branchen spüren von einem Anstieg der Beschäftigungsquote also vermutlich nicht allzu viel – der Arbeitsmarkt lässt deutlich zu wünschen übrig. Überall fehlt es an Personal. Sind womöglich die Zahlen hinsichtlich der Beschäftigungszahlen geschönt?    

Tatsächlich verlassen immer mehr Menschen die Arbeitswelt sogar für immer. Darunter fallen beispielsweise Arbeitnehmer, die in Haushalten leben, für die keine zwei Einkommen mehr nötig sind. Da wären außerdem auch diejenigen, die aufgrund körperlicher und psychischer Überbelastung vorzeitig in den Ruhestand gehen, weil sie nicht mehr können. Und vergessen dürfen wir auch nicht die Auswanderer, die sich im Ausland neue Jobs suchen.

Und wenn wir schon von Ruhestand sprechen, müssen wir auch an den demografischen Wandel denken, der unter anderem in Deutschland zu einem demografischen Problem wird: Während immer mehr ältere Arbeitnehmer sich in naher Zukunft in die Rente verabschieden (Stichwort: Babyboomer Generation), kommen nicht mehr genug junge Menschen nach, um die offenen Stellen zu besetzen.

Dies geht einher mit der zunehmenden Akademisierung, denn anstelle von Ausbildungen absolvieren immer mehr Schüler nach dem Abschluss ein Studium und verbringen viele Jahre an Universitäten und Hochschulen. Die klassischen Ausbildungsberufe, die so dringend erlernt und ausgeübt werden sollten, sterben dabei mehr oder weniger aus.

Die Zahl der Erwerbstätigen, der Fachkräfte, wird demnach stark gemindert. Dies belastet im Übrigen auch die Renten.

Zurück nun aber zu den konkreten Gründen für hohe Arbeitslosigkeit:

  • Schwache Wirtschaft, womöglich sogar Rezessionen
  • Struktureller Wandel - Durch die Digitalisierung fallen ganze Berufsbilder weg
  • Unerwartete, anhaltende Ereignisse wie Pandemien oder geopolitische Krisen - Umsätze von Unternehmen werden stark negativ beeinflusst, es kommt möglicherweise zu Massenentlassungen
  • Outsourcing – Unternehmen wandern ins Ausland ab und schließen deutsche Standorte   

Welche Branchen betrifft es besonders?

Welche Branchen konkret betroffen sind, lässt sich mittlerweile kaum mehr beurteilen – fast alle Branchen kämpfen mit einem Fachkräftemangel. In den letzten Jahren war insbesondere die Pflege stark im Fokus, aber auch an Erziehern und Lehrern mangelt es durchweg.

Auch ein Handwerkermangel zeichnet sich ab: Viele Bauvorhaben werden in den nächsten Wochen und Monaten nicht umgesetzt, weil es an Personal fehlt. Die Auftragsbücher sind voll, es können keine weiteren Aufträge mehr angenommen werden, da nicht genug Mannesstärke vorhanden ist. Betroffen sind Baustellen, Kfz-Werkstätten, Industriezulieferer. Dazu kommen Lieferengpässe und Preissteigerungen.

Gemäß den Angaben des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks fehlen aktuell etwa 250.000 Fachkräfte in der Handwerks- und Baubranche. Eine Verbesserung der Situation ist auch hier nicht in Sicht, schließlich kommen keine bzw. nicht genug Auszubildenden nach. Wirft man einen Blick auf LKW-Fahrer, erkennt man schnell die Ausmaße des Fachkräftemangels. Mindestens 80.000 Fahrer fehlen, Tendenz steigend. Neue Aufträge müssen von einigen Speditionen schon seit Monaten abgelehnt werden.

Gleichermaßen sieht es im Handel, in der Industrie und sogar in der IT aus. Lediglich im kaufmännischen Bereich stieg die Zahl der Auszubildenden zuletzt an.

Wie werden die Zahlen geschönt?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns zunächst ansehen, wer als arbeitslos gilt. Dazu zählen nach § 16 SGB III alle Personen, die „1. vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, 2. eine versicherungspflichtige Beschäftigung suchen und dabei den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung stehen und 3. sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet haben.“ Dies gilt im Übrigen auf für alle, die Anspruch darauf haben, Arbeitslosengeld zu beantragen.

Darunter fallen beispielsweise nicht

  • die Studierenden ohne Beschäftigung neben dem Studium,
  • die Erwerbsminderungsrentner, die nur die Hälfte dieser Leistung beziehen und bedingt arbeiten gehen könnten, es aber nicht tun,
  • Flüchtlinge, die noch nicht bei der Bundesagentur für Arbeit erfasst wurden,
  • Menschen, die Angehörige in Vollzeit pflegen,
  • Diejenigen, die sich trotz Arbeitslosigkeit nicht bei der BA arbeitslos melden, weil sie nicht auf ein Einkommen angewiesen sind, und weitere Personengruppen.

Streng genommen müsste man die Zahl der tatsächlich Erwerbsfähigen in Deutschland errechnen und diese Zahl von den aktuell Erwerbstätigen abziehen. Die Differenz wird mit Sicherheit über der Zahl der gemeldeten Arbeitslosen liegen.  

Die Erfassung der Arbeitslosenzahlen ist somit im Grunde Auslegungssache – es gibt Personen, die gemäß den sogenannten sozialrechtlichen Kriterien als arbeitslos gewertet werden und andere, die nicht darunterfallen. De facto ist nicht jeder, der keinen vergüteten Job hat, auch tatsächlich arbeitslos.

Fazit

Es dürfte auf der Hand liegen, dass es in Deutschland einen massiven, zunehmenden Fachkräftemangel gibt – in nahezu allen Branchen. Auch wenn die Zahl der Erwerbstätigen laut dem BA-Chef aktuell steigt, kann die steigende Zahl der Arbeitslosen ebenfalls nicht geleugnet werden. Und auch in den kommenden Wochen und Monaten wird diese Quote weiter steigen. Aufgrund aller momentanen Schwierigkeiten sind definitiv nicht nur die Geflüchteten aus der Ukraine die Ursache. Deutschland steht somit vor einem großen Problem, welches dringend gelöst werden sollte.