Interview

"Ich kann nur für Stabilität bei den Betroffenen sorgen, wenn ich selbst stabil bin!"

Von links: Diakon Thomas Rieger, Landrat Stefan Rößle und Diakon und Feuerwehrmann Oliver Stutzky. Rieger und Stutzky sind mit ihren Teams für die psychosoziale Notfallversorgung zuständig. Bild: Thomas Oesterer
Während des Jahrhunderthochwassers und in den Folgewochen waren Oliver Stutzky und sein Team der Notfallseelsorge für Feuerwehr und Rettungsdienst für die psychologische Versorgung der Einsatzkräfte vor Ort zuständig. Was er in den vergangenen Wochen erlebt hat

Sehr geehrter Herr Stutzky, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für unsere Fragen genommen haben. Das Hochwasser liegt mittlerweile einige Wochen zurück – bestimmt auch für Sie keine einfache Zeit. 

Können Sie im Vorfeld zunächst erklären, welche Aufgabe Sie dabei bekleiden?

Oliver Stutzky: Wir – das heißt mein Team und ich – sind die Psychosoziale Notfallvorsorge für Einsatzkräfte. Grundsätzlich einmal hat das sehr viel mit der Seelsorge und Betreuung von Einsatzkräften zu tun. Unsere Aufgabe ist es, Einsatzkräfte schon im Vorfeld einer Krisensituation so weit zu stärken, dass sie im Ernstfall schnell wieder in die Spur finden. Wir bezeichnen das als primäre Prävention. Außerdem begleiten wir Einsatzkräfte nach besonders belastenden Ereignissen und Einsätzen. Dazu gehört auch die nüchterne Analyse von Katastrophen. Ich kann nur für Stabilität sorgen, wenn ich selber stabil bin.

Um welche Einsatzkräfte handelt es sich dabei konkret?

O.S.: Wenn ich aufteilen müsste, würde ich schätze, dass ich zu 90 Prozent mit Feuerwehrleuten und zu zehn Prozent mit Mitarbeitern des Rettungsdienstes
zusammenarbeite. Ich bin seit 1989 aktiver Feuerwehrmann in der Gemeinde Tapfheim. Feuerwehrseelsorger zu sein, ohne mich selbst im aktiven Dienst zu engagieren, wäre für mich undenkbar. Meine Erfahrung hat gezeigt, dass sich Kameraden nur dann öffnen, wenn sie erkennen, dass der Gegenüber eine Ahnung davon hat, was gerade im Einsatz abverlangt wurde.

Was war während der Hochwasserkatastrophe und in den Wochen danach ihre konkrete Aufgabe?

O.S.: Als Fachberater war ich zunächst für zehn Tage am Stück Teil des Krisenstabs. Dabei hatten wir die Aufgabe ein psychosoziales Lagebild der Situation zu
erstellen. Aus diesem Lagebild heraus wurden dann entsprechende Maßnahmen ergriffen. Dazu gehört, dass wir immer wieder zu den Einsatzstellen gefahren sind, um zu schauen, wie es den Menschen vor Ort geht. Grundsätzlich wird hier zwischen Einsatzkräften und der Bevölkerung unterschieden.

Welche Auswirkungen kann ein solcher Katastrophenfall kurzund langfristig auf Verfassung der Einsatzkräfte haben?

O.S.: Im Einsatz bemerkten Einsatzkräfte sehr schnell, dass sie schlichtweg funktionieren. Dieser Zustand ist auch gut und wertvoll. Wenn ein Einsatz
allerdings zu Ende ist, sprechen wir von sogenannten Belastungsstörungen, die auftreten können, aber nicht müssen. Sehr häufig das Bilder oder Geräusche, die Einsatzkräfte wahrnehmen, die in Zusammenhang mit dem Erlebten stehen. Ein Beispiel: Es kommt nicht selten vor, dass die Betroffenen – im Falle eines
Hochwassers – zu Hause im Bett liegen und regelrecht die Wellen bzw. das Wasser spüren. Auch hohe Emotionalität, Hilflosigkeit und Angst können Folgeerscheinungen sein. Im Nachgang versucht die betroffene Person so das Erlebte zu verarbeiten. Während des Einsatzes bleibt dafür häufig keine Zeit.

Welchen Rat würden Sie Einsatzkräften geben, die nach dem Hochwasser mit solchen Belastungsstörungen zu kämpfen haben?

O.S.: Wir raten grundsätzlich zu
zwei Sachen:

  • Nimm die Reaktionen deines Körpers war. Du musst dir immer darüber im Klaren sein, dass die Reaktion etwas Normales ist – die Hochwasserkatastrophe
    ist das Abnormale, nicht deine Reaktion darauf
  • Wenn die Belastungsstörungen in den Folgetagen nicht spürbar leichter werden, dann empfehlen wir dringend den Kontakt zu uns. Durch bestimmte Gesprächsmethoden bzw. -techniken können wir Einsatzkräfte aus dieser hohen Belastungskurve herausholen.

Wie schätzen Sie die Lage aktuell – also einige Wochen nach dem Hochwasser – ein?

O.S.: Hochwasser ist etwas Schreckliches und die Eindrücke sind selbst für erfahrene Einsatzkräfte nur schwer zu verarbeiten. Aber wir merken, im allergrößten Teil eine sehr gute Verarbeitung. Hier bewährt sich unsere jahrelange Präsenz in den Feuerwehren der Region. Das nennen wir ‚Primäre Prävention‘. Die meisten Einsatzkräfte wissen um das Thema und stärken, stützen und stabilisieren sich gegenseitig.

Warum spielen Gummibärchen eine so tragende Rolle in ihrer täglichen Arbeit?

O.S.: Letztlich sind die Gummibären nur ein Hilfsmittel, um an ein Gespräch anzudocken und die Aufmerksamkeit einer Einsatzkraft oder eines Betroffenen vor Ort für kurze Zeit auf mich und weg vom Einsatzgeschehen zu lenken. Natürlich funktioniert auch Kaffee oder Essen – Gummibärchen sind nur einfach handlicher.
Was haben Sie in den vergangenen Wochen in den Einsatzgebieten erlebt?

O.S.: Zunächst einmal eine sehr hohe Emotionalität. Warum-Fragen und Unverständnis gegenüber den Verantwortlichen gehören bei Krisen dazu. Durch unsere Präsenz, aber auch durch die Präsenz von Entscheidungsträgern aus dem Krisenstab kann man von dieser Emotionalität auch schnell viel abbauen. Unsere Aufgabe ist dann auch gerne einmal die Vermittlung zwischen Politik und Bevölkerung, ohne uns für eine Seite vereinnahmen zu lassen.

Maßnahmen der Fachberater

  • Stabilisieren und Coachen von Führungskräften 
  • Unterstützen von Einsatzkräften die persönlichen Bezug zur Krisensituation haben
  • Einsatzabschlussgespräche nach Beendigung der Schicht, um das Erlebte zu verarbeiten (Demobilisation)
  • Aufzeigen von Bewältigungsstrategien