Die Corona-Pandemie, steigende Mieten, aber auch der Wunsch nach mehr Freiheit und der Traum vom eigenen Heim sind Gründe, warum viele Stadtbewohner aufs Land ziehen. Großer Beliebtheit erfreuen sich die Speckgürtel der großen Städte, da der suburbane Raum eine gute Infrastruktur, aber mehr Freiheit als die Innenstädte bietet. Auf die Städte wirkt sich die Flucht aufs Land negativ aus, doch gibt es auch Umkehrpotenziale, um die Stadtflucht zu stoppen.
Ifo-Umfrage: Jeder Achte zieht aus der Stadt
Das Ifo-Institut München führte bereits im Mai 2021 eine Umfrage zur Stadtflucht durch, an der ungefähr 18.000 Menschen teilnahmen. Die Umfrage zeigt, dass viele Menschen die großen Städte verlassen möchten. Ein Grund dafür sind die Einschränkungen während der Corona-Pandemie und die damit verbundene Arbeit im Home-Office, die viele Menschen unabhängiger macht. Die Menschen wollen entweder direkt aufs Land oder in kleinere Städte ziehen. Der Umfrage zufolge wollten
- 12,9 Prozent der Befragten, etwa jeder Achte, Städte mit mehr als einer halben Million Einwohner spätestens innerhalb eines Jahres verlassen
- 5,3 Prozent schon innerhalb von sechs Monaten aus den Städten ziehen
- 7,6 Prozent innerhalb von zwölf Monaten umziehen
- Menschen außerhalb der großen Städte nicht in die Städte ziehen
- Familien mit Kindern oder Menschen in der Phase der Familiengründung in kleinere Großstädte oder den suburbanen Speckgürtel ziehen
- 18,5 Prozent in den kommenden zwei bis fünf Jahren die Großstädte verlassen
- 44,2 Prozent nicht aus den großen Städten wegziehen
Die Zahl der Menschen mit dem Wunsch, die Städte zu verlassen, unterscheidet sich je nach Region. Hannover ist Spitzenreiter, denn innerhalb eines Jahres wollten 16,5 Prozent der Befragten ihre Stadt verlassen. Von den Menschen in Frankfurt am Main wollten 16,2 Prozent wegziehen. In Dortmund planten 14,2 Prozent einen Umzug innerhalb eines Jahres, während es in Berlin und Stuttgart jeweils 14,1 Prozent waren. Deutlich standorttreuer sind die Menschen in Leipzig, wo nur 10,5 Prozent die Stadt verlassen wollten, in Dresden mit 9,5 Prozent und in Essen mit 7,6 Prozent Menschen mit Umzugsplänen.
Ländliche Räume gewinnen an Attraktivität
Vor mehr als 200 Jahren verlief die Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung. Um 1800 wohnten lediglich 5 Prozent der Deutschen in den Städten, während es 2019 schon mehr als 77 Prozent waren. Die industrialisierte Landwirtschaft bot für immer weniger Menschen eine Lebensgrundlage, doch in den Fabriken und Büros stieg der Bedarf an Arbeitskräften. Dieser Trend verlangsamte sich in den letzten zehn Jahren. Das Leben auf dem Land ist wieder attraktiver geworden, wie Matthias Günther vom Eduard-Pestel-Institut Hannover feststellt. Er glaubt, dass sich der Wegzug aus den Städten beschleunigt, doch betont er, dass noch keine repräsentativen Grundlagen für diese Annahme vorliegen. Auch eine Marktanalyse von Engel & Völkers deutet darauf hin, dass die Suburbanisierung ein neuartiger Trend ist. Die Menschen ziehen während der Corona-Pandemie in den Speckgürtel der großen Metropolen. Sie wollen auf die Sicherheit der medizinischen Versorgung und weitere Vorzüge des urbanen Lebens nicht verzichten, doch wünschen sie sich mehr Freiheiten.
Negative Auswirkungen der Stadtflucht auf die Städte
Bereits vor der Pandemie zogen immer mehr Menschen aus den großen Städten ins Umland. Ein Grund dafür waren die immer weiter steigenden Mieten und die hohen Lebenshaltungskosten. Um die Stadtflucht zu stoppen, müssten die Mieten gesenkt und bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden. Die Städte verlieren einen großen Teil ihrer Steuerzahler, doch bleiben ihre Ausgaben gleich, da viele Menschen aus dem Umland die Leistungen weiterhin in Anspruch nehmen. Die Stadtflucht führt zu einem erhöhten Pendleraufkommen. Die Pendler nutzen die Straßen und die öffentlichen Verkehrsmittel, um in die Städte zu kommen. Viele, die ins Umland gezogen sind, schicken ihre Kinder weiterhin in Kitas oder Schulen in der Kernstadt. Wandern auch Betriebe ins Umland ab, führt das zu Verlusten von Arbeitsplätzen in den Städten. Nicht zu vergessen sind das erhöhte Verkehrsaufkommen durch die Pendler und damit verbunden die stärkere CO2-Emission, die fatale Folgen für das Klima hat. Negative Folgen hat die Stadtflucht auch für die Ladengeschäfte in der Stadt. Immer mehr Menschen bestellen vor allem Technik und Mode online, was zu einem Ladensterben führt. Seit Beginn der Corona-Pandemie setzt sich dieser Trend fort.
Wie Innenstädte wieder lebendiger werden
Um die Stadtflucht und die damit verbundenen negativen Folgen für die Städte aufzuhalten, müssen die großen Städte wieder attraktiver werden. Ein Problem ist die Parkplatzsuche in der Stadt. Attraktive Parkmöglichkeiten müssen geschaffen werden. Um die E-Mobilität zu fördern, könnten auf den Parkplätzen mehr Ladesäulen für E-Autos errichtet werden. Eine weitere Möglichkeit, die Abwanderung aus den Städten aufzuhalten und den Zuzug zu fördern, sind kostenlose WLAN-Hotspots. Die Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga, Ingrid Hartges, fordert
- Abbau der Bürokratie in den Städten,
- Senkung der Gewerbesteuer,
- mehr Sonntagsöffnungen von Geschäften,
um wieder mehr Menschen, vor allem die jüngere Generation, für das Leben in den Großstädten zu begeistern. Auch die Gastronomie in den Städten müsste nach Meinung von Ingrid Hartges wieder attraktiver werden, um mehr Menschen in den Städten zu halten. Ein verbessertes kulturelles Angebot, mehr Grün- und Erholungsflächen sowie neue Wohn- und Lebenskonzepte wären denkbar, um den Wegzug der Menschen aus den Städten zu verhindern. Leerstehende Immobilien in den Innenstädten könnten umgenutzt werden, beispielsweise zum betreuten und servicebegleiteten Wohnen von Senioren. In bestehende Stadtstrukturen könnten Mixed-Use-Konzepte integriert werden, mit denen die Strukturen zum Wohnen, für den Handel, die Gastronomie und die Kultur genutzt werden.
Negative Folgen der Stadtflucht für die ländlichen Gegenden
Nicht nur für die Städte, sondern auch für die ländlichen Gegenden hat die Flucht aufs Land negative Folgen. Seit der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 sind die Preise für Immobilien auf dem Land stark gestiegen. Dieser Trend setzt sich weiter fort. Das erhöhte Aufkommen an Pendlern führt zu einem verstärkten CO2-Ausstoß in ländlichen Gebieten. Da es an Infrastruktur mangelt, sind die Menschen auf das Auto angewiesen, um in die Stadt zu kommen. Die Straßen werden in den ländlichen Gebieten stark strapaziert. Da in den ländlichen Gegenden mehr Wohnraum geschaffen werden muss, könnten diese Regionen ihren ländlichen Charakter verlieren. Die Suburbanisierung führt zu einem erhöhten Energieverbrauch und kurbelt den Klimawandel an. Die Infrastruktur muss ausgebaut werden. Das ist einerseits positiv, andererseits aber auch negativ, da Wälder und Grünflächen verschwinden. Das beschleunigt die Klimakrise und das Artensterben.
Positive Auswirkungen der Stadtflucht auf die ländlichen Regionen
Eine positive Auswirkung der Stadtflucht für die ländlichen Gebiete sind die steigenden Steuereinnahmen. Das führt unter dem Strich zu mehr Geld in den Kassen. Die Steuern werden dort erhoben, wo sie entstehen, doch wird das Geld dort nicht vollständig ausgegeben, da es die Menschen zum Arbeiten in die Städte zieht. Die Entwicklung der Infrastruktur in den ländlichen Gebieten wird angekurbelt, wenn immer mehr Menschen den Städten den Rücken kehren. Sind vor etwa 20 Jahren viele Einkaufsmöglichkeiten, Banken und Freizeitangebote aus den Dörfern verschwunden, könnte sich diese Entwicklung wieder umkehren. Ein wichtiger Faktor, um die Dörfer attraktiv zu machen, ist schnelles Internet in Form von Glasfaser und 5G. Auch Kinderbetreuungsangebote auf dem Land werden verbessert. Da die Kommunen durch einen stärkeren Zuzug mehr Geld einnehmen, könnte der Ausbau der Infrastruktur und der verschiedenen Angebote auf dem Land vorangebracht werden.