In einer ausführlichen Einlassung, in der er sich selbst stark belastet, erklärt der Angeklagte Dr. R., wie er 2014 begonnen hatte, das Anästhetikum Fentanyl, mit dem er Patient*innen in Narkose versetzte, in einem unbemerkten Moment abzuzweigen, und es sich dann selbst verabreichte. Der Medizinier leidet laut seiner Aussagen an schweren Depressionen und der chronischen Darmentzündung Colitis Ulcerosa. Er berichtet auf der Anklagebank von starken Schmerzen, Versagensängsten und Existenzängsten.
Erst habe er sich selbst das starke Schmerzmittel Tilidin begonnen zu verschreiben - bis irgendwann der Tag kam, als bei einer Operation anstatt der 500 Mikrogramm Fentanyl nur 200 Mikrogramm gebraucht wurden. Mit einer zweiten Spritze habe der Mann dann das Medikament aufgezogen und Kochsalzlösung nachgefüllt. Auf der Toilette habe er sich dann 10 Mikrogramm des Schmerzmittels in seine Vene gespritzt. „Ich habe mir nichts weiter gedacht, in dem Moment wolle ich die Schmerzen loswerden. Es war so, als würde man mir den Bauch aufreißen. Jeder Mensch würde sagen, warum arbeitet man weiter? Aber ich habe einfach weitergearbeitet. Warum sollte ich mir nicht also selbst ein starkes Opioid verabreichen?“ Auf Nachfrage des Staatsanwalts, warum er sich keine anderweitige ärztliche Hilfe geholt hatte, antwortet lautete seine Antwort: „Weil ich ein Blödmann bin“.
Angeklagter wurde wahrscheinlich 2017 selbst mit Hepatitis-C infiziert
Vor Gericht soll nun geklärt werden, wie sein Blut tatsächlich in den Blutkreislauf der Patienten und Patientinnen gelangt ist. Der ehemalige Arzt erklärte, dass er sich beim Brechen von Ampullen oder beim Legen von Zugängen an Patient*innen selbst kleine Verletzungen an den Fingern zugezogen haben könnte und so sein Blut in den Blutkreislauf der Patienten gelangen ist. „Unter Zeitdruck und Schmerzen, da zittert man, es muss alles schnell gehen“, erklärte er. Zuvor hatte er sich vor Gericht für sein Verhalten entschuldigt: „Es tut mir sehr leid, ich bitte um Verzeihung.“ „Meinem Mandanten geht es schlecht, er hat aber Verständnis, dass es den Patienten auch schlecht geht“, äußerte sich sein Verteidiger Rechtsanwalt David Herrmann in der Verhandlungspause gegenüber der Presse.
Bis zu zweimal täglich ist der Arzt so vorgegangen und hat nach wenigen Monaten die Dosis erhöht. Von seiner eigenen Hepatitis-C-Infektion habe R. erst 2018 erfahren. Wahrscheinlich habe er sich beim Legen einer Kanüle verletzt und sich so bei einem Patienten selbst angesteckt. Mittlerweile arbeitet der Angeklagte nicht mehr als Arzt. Er habe sich laut seiner Aussagen in mehrere psychiatrische- und Suchtherapien begeben. Er nehme weiterhin Antidepressiva.
An den kommenden Prozesstagen sind mehr als 60 Zeug*innen und vier Sachverständige geladen. Zehn Geschädigte treten als Nebenkläger*innen auf. Es sind 12 weitere Prozesstage angesetzt, ein Urteil wird im Juli erwartet.