Nach einer dreistündigen Verhandlung verkündete Richter Gerhard Schamann das Urteil. Dem 64-jährigen Angeklagten aus Donauwörth wurde zur Last gelegt, am 25. Juli 2021 eine damals 10-Jährige sexuell missbraucht zu haben. Er soll das Mädchen unter dem Vorwand, ihr Schmuck schenken zu wollen, von ihren Spielkamerad*innen weggelockt und ihr mehrere Schmuckstücke angeboten haben. In seiner Einvernehmung gab er an, dass sich das Mädchen Schmuck ausgesucht habe. Er habe sie dann an den Schultern gefasst und sie auf beide Wangen geküsst. Wie die Dolmetscherin übersetzte, habe sich der Angeklagte nichts dabei gedacht, denn in seinem Heimatland sei es durchaus üblich, auch fremde Kinder zu herzen und zu küssen. Den ihm vorgeworfenen Zungenkuss leugnete er.
Familiäres Täter-Opfer-Verhältnis
Rechtsanwalt Nikolaus Fackler führte aus, dass zwischen der Familie des Täters und der mittlerweile 11-Jährigen seit mehreren Jahren ein relativ enges Verhältnis bestanden hätte. Er und seine Frau würden die Kinder des alleinerziehenden Vaters mit Essen und Getränken versorgen und sie wie ihre eigenen Enkelkinder behandeln. Außerdem habe sich der Vorfall nicht im Keller sondern auf der Treppe, also einem öffentlich zugänglichen Bereich ereignet. Er habe das Mädchen auch nicht weggelockt, sondern sie zufällig auf der Treppe getroffen, ihr dort das Tütchen mit dem Schmuck gegeben und gesagt haben: „Bitteschön für Dich“. Danach habe er sie auf beide Wangen geküsst. Gleichzeitig räumte er jedoch ein, mit dem Vater des Mädchens Probleme und am Tag vor dem Vorfall eine Auseinandersetzung aber keinen Streit gehabt zu haben. Dennoch würden alle Nachbarn die Polizei anrufen, weil der alleinerziehende Vater seine Kinder vernachlässige und einsperre, um an Spielautomaten zu pokern. Der Vater des Mädchens hätte ihn und Nachbarn auch schon mal angestiftet, sein Auto zu „schlagen“, um Geld von der Versicherung zu erhalten.
Widersprüche belasten den Angeklagten
Auf Nachfrage des Staatsanwaltes behauptete der Angeklagte, er habe sein Auto geputzt, sei vom Einkaufen gekommen, habe das Auto ausgeräumt, hätte noch Sachen im Auto gehabt, die er auf dem Flohmarkt in Donauwörth nicht verkauft hatte und darunter auch besagten Modeschmuck. Nachdem Staatsanwalt Johannes Paulsch ihn damit konfrontierte, dass zu diesem Zeitpunkt kein Flohmarkt in Donauwörth stattgefunden hatte, gab er an, es sei in Neuburg gewesen, aber er könne sich nicht mehr daran erinnern.
Zeugenaussagen bringen Licht ins Dunkel
Den alarmierten Polizeibeamten gegenüber gab der Angeklagte damals zu, dem Mädchen den Schmuck gegeben und sie auf die Wangen geküsst zu haben. Den vermeintlichen Zungenkuss stritt er ab, bevor ihn der eingesetzte Polizist überhaupt gefragt hatte. Dieser sprach vor Gericht von einem wahren Redefluss des 64-jährigen. Das ließ den Polizeibeamten hellhörig werden. Ebenso wie die Reaktion des Mädchens, das nach seinen Worten 'zusammenzuckte', als er es nach weiteren Geschehnissen befragte, während sein Kollege den aufgeregten Vater in Schach hielt. Die Freundin des Mädchens bestätigte, dass der Angeklagte das Kind vom Spielen weggeholt und zudem auch noch gesagt habe, dass sie und ihre Schwester nicht mitkommen sollten. Nach etwa gut 20 Minuten habe sie dann ihre Freundin gesucht und diese weinend auf der Treppe im Hausflur gefunden. Sie habe ihr dann erzählt, was vorgefallen war und dass sie Angst habe, es dem Vater zu sagen. Gemeinsam erzählten die Mädchen es dann doch dem Papa der daraufhin die Polizei verständigte.
Die von der Verteidigung geladenen Zeugen erwiesen sich allesamt als wenig hilfreich, denn keiner von ihnen konnte die Aussage des Angeklagten bestätigen.
Letzte Zeugin ist die Geschädigte
Als letzte Zeugin wurde die 11-Jährige selbst aufgerufen, die auch in ihrer mittlerweile dritten Vernehmung, abgesehen von irrelevanten Abweichungen, so Richter Schamann, das Gleiche aussagte. Ihre und die Aussage der Freundin waren letztendlich auch ausschlaggebend für die Verurteilung. Während Staatsanwalt Paulsch eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung für tat- und schuld-angemessen hielt, forderte die Verteidigung 10 Monate auf Bewährung bzw. einen Freispruch nach dem Motto „Im Zweifel für den Angeklagten“ und ein psychologisches Gutachten des Mädchens. Dies lehnte das Gericht vehement ab. In seiner Begründung fasste Richter Schamann zusammen, dass die beiden Mädchen kein Motiv für das Erfinden einer Geschichte hätten. Der Angeklagte habe die 11-Jährige zielgerichtet weggeholt, also handle es sich um ein geplantes Vorgehen. Lediglich das Anfassen an den Schultern wurde nicht als Gewaltanwendung gewertet. Der 64-Jährige wurde zu einem Jahr und sechs Monate ohne Bewährung verurteilt. Er gab seinem Verteidiger die Anweisung gegen das Urteil Berufung einzulegen.