Die Bevölkerung des Bezirkes zeichnet sich weder durch mehr als gewöhnliche, noch durch geringe geistige Begabung aus und man kann mit Recht sagen, daß gesunder schlichter Verstand bei der Mehrzahl vorherrscht, manche haben sogar eine gute Dosis Mutterwitz, der sich in Scherz und Spott kund giebt.
Diese und andere Einschätzungen über die Bewohner des ehemaligen Landgerichtes Oettingen aus der Feder des königlich-bayerischen Amtsarztes Dr. Horlacher verfolgten am vergangenen Donnerstag zahlreiche Besucher in der Volkshochschule Oettingen. Dort wurden die sogenannten „Physikatsberichte“ aus dem Landkreis Donau-Ries von der Bezirksheimatpflege Schwaben vorgestellt, die vor Kurzem als neues Bucherschienen sind.
Während der Buchvorstellung nahm das Team um Bezirksheimatpfleger Christoph Lang die rund 40 Anwesenden in der Alten Lateinschule in Oettingen mit auf eine kurzweilige Zeitreise in das Jahr 1860. Seit knapp 20 Jahren ediert die Bezirksheimatpflege Schwaben die Physikatsberichte, die für ganz Schwaben vorliegen. Die zeitgenössischen Berichte beschreiben detailliert das Leben der Menschen vor 150 Jahren, was in Oettingen auf großes Interesse stieß. Knapp 40 Zuhörer erfuhren Spannendes und Interessantes, darunter auch Skurriles, zu Hygieneverhältnissen, Ernährungsgewohnheiten, der zeitgenössischen Religiosität oder dem Temperament ihrer Ururgroßeltern.
Nach einer Begrüßung durch Volkshochschulleiterin Petra Wagner und Bürgermeister Markus Eisenbarth gab Bezirksheimatpfleger Christoph Lang einen kurzen Überblick über die Physikatsberichte, deren Begriff und das Zustandekommen als Literaturgattung; „eine großartige, faszinierende Geschichtsquelle.“ Die Physikatsärzte – die Vorläufer unserer heutigen Amtsärzte – erhielten von König Maximilian II. den Auftrag , diese Berichte anzufertigen. Sie stellten umfangreiche Antwortschreiben zusammen, in denen sie Angaben zu vielen alltäglichen Themenbereichen machten: zu Wohnverhältnissen, zu Kleidung, Ernährungsweisen, aber auch zu Reinlichkeit, Eheleben und geschlechtlichen Ausschweifungen, zu Formen der Frömmigkeit und des Aberglaubens, zu Festen und Feierlichkeiten.
Einen Überblick in die historischen Verhältnisse in Oettingen lieferte Museumsleiterin und Stadtarchivarin Petra Ostenrieder. In einer unterhaltsamen und teilweise ironischen Beschreibung brachte sie den Zuhörern die Transformation der ehemals fürstlichen Residenzstadt hin zur bayerischen Landstadt nahe und lieferte damit die Entstehungshintergründe des Oettinger Physikatsberichts. Die Bedeutung des Eisenbahnneubaus in der damaligen Zeit könne für Oettingen gar nicht hoch genug bewertet werden, so Ostenrieder.
Einen Blick auf den Autor der Berichte, den Oettinger Amtsarzt Dr. Friedrich August Horlacher aus Wassertrüdingen, warf der Autor Felix Guffler, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bezirksheimatpflege die neueste Edition verantwortete. Guffler zeigte, wie überaus gebildet und engagiert Dr. Horlacher als Mediziner seinerzeit war. Er galt als ein großer Förderer von Gesundheits- und Hygienemaßnahmen in Oettingen und war darüber hinaus überregional vernetzt. Sein großes Wissen über die Gegend floss auch in seinen Physikatsbericht ein, der das Leben vor Ort in schillernden Worten ganz unverblümt wiedergibt. Um auch ein tatsächliches Bild vor Augen zu bekommen, ist die Buchedition seiner Handschrift reich mit Bildern und Ansichten von Land und Leuten aus der damaligen Zeit illustriert.
Anschließend stand jedoch der Text des Physikatsberichtes im Vordergrund. Die Lesung einzelner ausgewählter Passagen von Oettingens Stadtbibliothekarin Kerstin Pflanz öffnete für so manchen Zuhörer die Augen über die Bevölkerung der damaligen Zeit. Die gute alte Zeit war doch wesentlich schmutziger und ungesünder als man es heute annehmen möchte, dies schrieb zumindest Dr. Horlacher in seinem Physikatsbericht. Verhältnisse, über die der studierte Mediziner empört oder frustriert seinem König berichtete, die jedoch authentisch für das Leben in Oettingen und Umgebung waren.
Musikalisch umrahmt wurde die Buchpräsentation von der Gempfinger Hofmarksmusik, die Werke des zeitgenössischen Oettinger Musikmeisters Christian Hörmann darboten – vermutlich die erste Aufführung dieser Stücke seit dem frühen 20. Jahrhundert. Die sehr gut besuchte Veranstaltung klang bei guten Gesprächen gemütlich aus.
Die weiteren Präsentationstermine im Verbreitungsgebiet sind am 17.11.2021 in Wallerstein und am 10.11.2021 in Monheim. Die Präsentation in Wemding musste leider wegen der derzeitigen pandemischen Lage auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden. Das Buch „Volks- und landeskundliche Beschreibungen aus dem Landkreis Donau-Ries – Die Physikatsberichte der Stadt- bzw. Landgerichte Donauwörth, Monheim, Nördlingen, Oettingen, Rain, Wallerstein und Wemding (1858-1861)“ von Felix Guffler (ISBN: 978-3-95786-288-4) kann überall im Buchhandel erworben werden. (pm)