100 Sekunden vor Schluss standen in der Berliner Sömmeringhalle die knapp 1500 Fans ob ihres schon sichergeglaubten sechsten Heimspielsiegs in Folge freudtaumelnd die Fäuste in die Luft gestreckt und blickten zufrieden auf die Anzeigentafel, die einen Zwölfpunkte-Vorsprung für die Gastgeberinnen zeigte. Der Gedanke, dass wenige Sekunden später die Hütte brennen und das Spiel innerhalb weniger Momente aus der Hand gegeben werden würde, war zu diesem Zeitpunkt völlig absurd. Doch eins nach dem anderen.
Matiss Rozlapa startete wie üblich mit Brandi Beasley, Mariam Haslé-Lagemann, Erika Davenport, Nicole Brochlitz und Leonie Kambach. Eine altbewährte Aufstellung, die in den ersten Sekunden der lautstarken Atmosphäre ihren Tribut zollen musste. Bereits nach 50 Sekunden führten die Berlinerinnen mit 6:0 und ließen den Nördlinger Coach mit einem Kopfschütteln in der bereits früh auf Betriebstemperatur lauten Sömmeringhalle stehen. „Ich habe mein Team nicht gut vorbereitet und nehme diese Anfangsphase auf meine Kappe“, gestand der sichtlich mitgenommene Nördlinger Trainer, der bereits nach wenigen Minuten seine komplette Mannschaft durchrotierte. Beim 15:5 nach viereinhalb Minuten bahnte sich ein ähnliches Drama an wie schon vor zehn Monaten an gleichem Ort, als die Angels einen 15:0-Lauf zu Spielbeginn kassierten. Doch Trainer Rozlapa zog die erste Auszeit und mahnte zu einem körperbetonteren und aggressiveren Spiel seiner Schützlinge, um der intensiven Defensearbeit der Gegnerinnen Paroli zu bieten. Das Team rund um die stark aufspielende Lisa Bertholdt, deren Aufeinandertreffen mit ihrer Schwester einen zwanzigköpfigen, aufsehenerregenden, superlauten Fanblock mit eigens gestalteten T-Shirts erzeugte, nahm sich dieser Körperlichkeit an und konnte den Abstand zum Viertelende auf ein 18:15 reduzieren.
Zu Beginn des zweiten Viertels war die Anfangsnervosität anscheinend vollständig abgelegt und man war nun wach und bereit für das physische Spiel der Berlinerinnen. Blitzschnell und -sauber waren die Finger in der Defense und mindestens ebenso schnell die erste Nördlinger Führung nach Wiederanpfiff. Nach einer guten Minute und sieben deutschen Angelspunkten sah sich Cristo Cabrera, ALBA-Coach, zu seiner ersten Auszeit gezwungen. Roosa Lehtoranta sorgte mit zwei absoluten Traumpässen für insgesamt acht Punkte auf Lisa Bertholdts Konto. Einzig die auffällige Nachlässigkeit von der Freiwurflinie sorgte dafür, dass sich Nördlingen trotz intensiver Berliner Verteidigung nicht weiter absetzen konnte und so ging es mit einem ausgeglichenen Spielstand in die Halbzeitpause.
Der verschlafene Start des ersten Viertels war längst vergessen – hellwach und körperbetont wurde um jeden Millimeter gekämpft, die Foulpfiffe blieben aber aus. Die sogenannte „internationale Härte“, die die Deutschen Fans bei Nationalspielen verwundert zurückließen, war offenbar inzwischen auch im Deutschen Norden eingekehrt. Spiele, die in den südlicheren Regionen ausgetragen werden, haben von diesem Trend anscheinend noch nichts mitbekommen. Alba konnte sich durch ihre höchst aggressive Frau-Frau-Verteidigung ein wenig absetzen (46:37, 25‘). Das Spiel wurde mit jedem Angriff härter und intensiver – inzwischen lag bei jedem Angriff mindestens eine Spielerin pro Mannschaft auf dem Boden. Das gefährlich rutschige Klebeband bei den Werbeaufklebern auf dem Boden taten ihr Übriges. All das schien in die Köpfe der Nördlinger Spielerinnen einzudringen, denn die Fehlerquote stieg stetig an, wodurch Alba durch Dreier von Snyder auf 52:39 davonziehen konnte.
Das offensive Teamspiel der Angels war zwischenzeitlich zum Stillstand gekommen und riskante Lob-Pässe führten zu immer weiteren Turnover und sorgten für Berliner Oberwasser. Auch die Freiwurfquote von nur 50 Prozent verboten ein knapperes Ergebnis. Schließlich fasste sich Danielle McCray ein Herz und sprintete nach einem Rebound „coast to coast“ zum 52:42 Zwischenstand nach dreißig Minuten.
Der letzte Durchgang verlief dann zunächst so, wie der dritte aufgehört hatte. Eine höchst intensive Defense-Schlacht, bei dem die ballführenden Spielerinnen gedoppelt, teilweise von drei Spielerinnen verteidigt wurden, zeigte, dass sich auf beiden Seiten kein Millimeter geschenkt wurde. Zwischen Ellbogen und Fingernägeln lief den Angels aber so langsam die Zeit davon, bis bei ebendiesen hundert Sekunden vor Schluss die trügerische Gewissheit über einen ALBA-Sieg in die Sömmeringhalle eintrudelte. Doch urplötzlich ging ein Ruck durch das RozlapaTeam und nach 5 fünf Auszeiten und einigen taktischen Fouls wechselte die Berliner Feierlaune zu erschrockenen Defense-Rufen. Stück um Stück hatten sich die Angels an die Albatrosse angepirscht und waren 18 Sekunden vor Schluss nur noch zwei Punkte vom Ausgleich entfernt. Beasleys Steal bei einem Berliner Einwurf sorgte dann für einen weiteren panischen Aufschrei, doch Lisa Bertholdt, „player of the match“, verpasste den freien Dreier. Auch drei Offensivrebounds später fand der Ball – wie so oft in diesem Spiel – einfach nicht den Weg in den Korb und plötzlich war das Spiel vorbei. Schrecken, Enttäuschung und Erleichterung waren selten so nah beieinander.
Coach Rozlapa nahm die Niederlage später auf seine Mütze, ist aber überzeugt, dass sein Team besser ist, als es die Tabelle aussagt. Dreimal sei unglücklich verloren worden, aber man lerne jedes Mal daraus und sei jedes Spiel stärker.
Bereits kommenden Freitagabend steht das erste Spiel der Rückrunde an, wenn der Deutsche Meister aus dem Jahre 2022, die Freiburger Eisvögel, in der Nördlinger Hermann-Keßler-Halle gastiert. Ein Spiel, für den sich ein Besuch auf jeden Fall lohnt, denn die Angels-Verantwortlichen haben für die nächsten beiden Heimspiele ordentlich was geplant… (pm)
Für die Angels spielten:
Erika Davenport (15 Punkte), Danielle McCray (9), Nicole Brochlitz (13), Enija Viksne (4), Roosa Lehtoranta (2), Mariam Haslé-Lagemann (3), Lisa Bertholdt (14), Brandi Beasley (6), Leonie Kambach