Bild: Pia Hallmann
"Verwaltet. Vergast. Vergessen.“ – Diese Worte tragen die furchtbare Last der Geschichte des 1917 geborenen Johann Huber (Name geändert). Sie stehen zugleich für ein besonders trauriges Kapitel in der Geschichte der Stiftung Sankt Johannes.

Die Stiftung lud deshalb zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus 2024 ein, an dem Geschäftsführer Robert Freiberger die Besucherinnen und Besucher im bis auf den letzten Platz gefüllten Konferenzraum begrüßen konnte. Im Mittelpunkt stand das kurze Leben eines jungen Mannes aus einem Dorf im Ries. Sein Schicksal steht für so viel, was in den dunklen Zeiten des Dritten Reiches geschah.

Durch neue Funde aus dem Stiftungsarchiv, dem Staatsarchiv Augsburg und dem Bundesarchiv Berlin können wir nun Puzzleteile seines Lebens zusammensetzen und sein Schicksal erhellen. Die Zusammenarbeit von Stiftungsarchivar Dr. Franz Josef Merkl und Daniel Hildwein M. A. von der Gedenkstätte Grafeneck ermöglicht es, tief in das Leben dieses jungen Mannes mit Behinderung und in die Geschehnisse der Zeit einzutauchen. Gegen seinen Willen und den seiner Familie, in der er geborgen war, wurde er 1936 sterilisiert. Obwohl er vollkommen harmlos in der Nachbarschaft seines Rieser Dorfes umherstreifte, wies ihn der Nördlinger Landrat als angeblich gemeingefährlich in die damalige Heil- und Pflegeanstalt Schweinspoint ein. Wenige Jahre später wurde er auf Geheiß des Innenministeriums in München dem Schutz und der Fürsorge der Barmherzigen Brüder entrissen und über die Heil- und Pflegeanstalt Günzburg in die Mordanstalt Grafeneck auf der Schwäbischen Alb gebracht. Dort starb er im November 1940 zusammen mit über 70 Schweinspointer Leidensgefährten einen grausamen Tod. Während Stiftungsarchivar Merkl dem Weg des jungen Mannes nachging, skizzierte sein Kollege Hildwein Ideologie und politische Rahmenbedingungen der NS-„Euthanasie“, aber auch die mörderischen Geschehnisse auf der Schwäbischen Alb und in den anderen Mordanstalten des Dritten Reiches. Das morderfahrene Personal der „Aktion T4“ fand später in der Vernichtung der europäischen Juden Betätigung. Der Gastreferent sprach die fehlende Aufarbeitung der Mordtaten durch die Nachkriegsjustiz, aber auch in der deutschen Gesellschaft an. Die Opfer blieben so lange Jahrzehnte vergessen.

Die Gedenkstunde wurde von Beate Klein einfühlsam am Piano begleitet und ermöglichte so den Zuhörerinnen und Zuhörern notwendige Atempausen. Einen aktuellen Bezug stellte Robert Freiberger her – jedes einzelne der Schweinspointer Schicksale verbiete es, vom Nationalsozialismus als „Fliegenschiss der deutschen Geschichte“ zu sprechen. Merkl ging auf den AfD-Politiker Björn Höcke ein. Dessen Äußerung, die Inklusion von Menschen mit Behinderung sei ein „ideologisches Projekt“, bezeichnete er mit Theo Waigel als „menschenverachtend und bösartig, […] eine unglaubliche Gemeinheit“. Die Erinnerung an die Opfer der NS-„Euthanasie“ ist für die Stiftung St. Johannes Verpflichtung. Nach aktuellem Stand der Forschung wurden 122 Männer mit Behinderung aus der Stiftung ermordet. Bei elf besteht der dringende Verdacht, die konkreten Beweise fehlen aber. 17 Männer mit Behinderung verließen die damalige Heil- und Pflegeanstalt unter ungeklärten Umständen, die Schicksale bleiben im Dunklen. Alle Namen werden bald im schützenden und würdigen Raum der Stiftungskirche in einem Gedenkbuch zu lesen sein. Um die Geschichte und die Gedanken an die Opfer dieser Zeit aufrechtzuerhalten, sind weitere Vorträge in Nördlingen, Donauwörth und Zusmarshausen geplant. (pm)