Vor 50. Jahren, am 4. August 1970, ist der „Sohn Auhausens“ im Alter von 77 Jahren verstorben; der bisher einzige Bürger der Gemeinde Auhausen, welchem die Ehre einer Straßenwidmung zuteil werden sollte, die „Dr.-Otto-Meyer-Straße“. Und genau in dieser Straße hatte sich auch ein Großteil des geistigen und praktischen Schaffens des sprachbegabten und technikaffinen Müllersohns sowie seiner Ehefrau, Dr. Margarethe Meyer, abgespielt.
Geboren als drittes von acht Kindern in der weithin bekannten Auhausener Mühle, sollte ihm 1915, im jugendlichen Alter von 22 Jahren, das Schicksal einen lebenseinschneidenden „Streich spielen“: Bei einem Jagdunfall während seines Fronturlaubs verlor er das Augenlicht. Aufgrund dessen absolvierte er 1916 bis 1918 eine blindentechnische Ausbildung in der Blindenanstalt Nürnberg sowie im Anschluss ein neuphilologisches Studium an der Universität Marburg. In dieser Zeit sollte er seine spätere Ehefrau Margarethe Vogt aus Hamburg kennenlernen, die als Studentin im Kriegshilfsdienst erblindete Kommilitonen unterstützte. Bereits zum Wintersemester 1919 wechselten beide an die für ihn heimatnähere Universität Erlangen, um im Sommersemester 1922 zum Dr. phil. zu promovieren.
Der wirtschaftlich schwierigen Zeit geschuldet, kehrte Otto Meyer in das vertraute Auhausen zurück, um den ursprünglich zur Mühle gehörenden Holzsägebetrieb zu übernehmen. Nicht zuletzt durch die maßgebliche Unterstützung seiner künftigen Ehefrau, Tochter eines hanseatischen Steuerbeamten, konnte ein Holzwarenbetrieb aufgebaut werden. Mit dieser Existenzgründung im Jahr 1924 war Otto Meyer in der Lage, seine herausragende technische Begabung zu entfalten. Neben aller handwerklicher und kaufmännischer Entwicklung in der kommenden politisch und wirtschaftlich wechselhaften Zeit war es ihm stets ein hohes Anliegen, erblindeten Leidensgenossen zu helfen. Hierzu schrieb er im Rahmen seiner zahlreichen Veröffentlichungen, „dass man trotz fehlenden Augenlichts in der Technik, als Betriebsleiter wie als Konstrukteur, durchaus leistungsfähig sein kann“. Er vermochte „seine Gedanken so lange um ein und dieselbe Sache kreisen lassen“, bis sein „zuverlässiges Gedächtnis, das alle rasch aufblitzenden Einfälle verzeichnete und festhielt, die Dinge so weit entwickelte, dass sie als fertige Idee einem technischen Zeichner diktiert werden konnten“.
Meyer trat so als Erfinder mehrerer Maschinen auf und erachtete es als nichts Ungefähres, wenn unter den Sehbehinderten eine ganze Anzahl von Erfindern sind. So schrieb er über sein Denken und Handeln: „Wo die Veranlagung vorhanden ist und äußere Anregungen dazukommen, da muss gerade die Beschränkung und innere Konzentration auf einen ganz bestimmten Gegenstand fast mit Notwendigkeit zur Erfindertätigkeit führen. Es hat einen unbeschreiblichen Reiz, das scheinbar Unmögliche mit Hilfe der Maschine möglich zu machen; zu wissen, dass ein erfinderischer Einfall, der sich unter Verwertung der bisherigen Erfahrungen zur brauchbaren Konstruktion verdichtet, mich in den Stand setzt, meine Behinderung weitgehend zu überwinden, ja vielleicht zu Leistungen zu gelangen, die einem anderen nicht möglich sind. Ein herrliches, sieghaftes Gefühl ist es, an der Maschine zu stehen, unter der sie bedienenden Hand mit unfehlbarer Sicherheit die Formen entstehen zu lassen, die man ihr durch die Einstellung und Gestaltung der Werkzeuge vorgeschrieben hat, und dadurch wieder in den Besitz des Gestaltungsvermögens zu gelangen, das man verloren zu haben glaubte. Wenn dies´ ganz allgemein der Maschine gegenüber gilt, so doppelt und dreifach bei derjenigen, die man selbst erfunden und gebaut hat, wie dies´ bei vielen meiner Spezialmaschinen der Fall ist. Die höchste Befriedigung aber gewährt mir die Maschine da, wo ich sie nicht nur ideell und sachlich beherrsche oder wo ich sie mir unmittelbar oder mittelbar dienstbar mache, sondern noch weit mehr da, wo es mir gelungen ist, sie anderen Schicksalsgefährten zur Überwindung ihrer Lage an die Hand zu geben.“
So erfand er beispielsweise eine Maschine zum Zusammensetzen von Federwäscheklammern, welches eine Steigerung der Leistung von 300 auf 800 Stück in der Stunde ermöglichte. Um dem Nichtsehenden nun den Vorsprung, der ihm hierdurch gewonnen war, zu erhalten, behielt Meyer diese Maschine ausschließlich der Blindenbeschäftigung vor und brachte sie nur mit dieser Bestimmung in den Handel. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs erfand Meyer eine Knopfstanzmaschine für blinde „Ohnhänder“, um diesen Leidensgenossen Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen. Für einige Jahre lebten auf diese Weise Schwerstversehrte von den technischen Vorrichtungen, die Otto Meyer erfunden hatte.
Im Juli 1958 erhielt Dr. Meyer das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Das Nürnberger Institut für Erfindungswesen verlieh ihm 1971 posthum die Dieselmedaille in Bronze.
Otto Meyer besaß auch eine ausgeprägte künstlerische Ader. So war ihm ein erstaunlich sicheres Gespür für Farbe und Stimmung in den damals durch seinen Pinsel entstandenen Aquarellen nachgesagt. Zuletzt äußerte sich sein Talent in den meisterlichen Arbeiten während seiner Soldatenzeit im Ersten Weltkrieg in der malerischen Hügellandschaft Flanderns. Welch´ jähes Ende sollte der künstlerische Weg des „begnadeten Meisters des Aquarells“ nehmen, „als das Licht erlosch´ “ (angelehnt an den Titel des von ihm 1936 verfassten Buches „Wenn auch das Licht erlosch´ “).
Die dritte Begabung Otto Meyers, das literarische Schaffen, beschränkte sich bekanntermaßen über Jahrzehnte fast ausschließlich auf Beiträge zur Problematik des Blindenwesens. Erst mit dem 1963 erschienenen Buch „Als das Dorf noch meine Welt war“ beschritt er „neue Wege“. „Mit Herzenswärme und aus dem Gefühl der Dankbarkeit und der Ehrfurcht vor seinen Eltern“ erzählte der bodenständige Auhausener von seiner Kindheit und Jugendzeit in der heimischen Mühle, vom Bild seines Dorfes samt seinen Menschen sowie von der benachbarten Wörnitz-Landschaft mit ihren Wiesen und Wäldern.
Neben seinen Hauptschriften verfasste der tiefsinnige Dichter Otto Meyer auch lebensnahe, heitere und besinnliche Gedichte (z.B. Blick auf Auhausen, Vergangenheit, Geburt und Tod), zarte Lyrik und sogar ein Theaterstück. Verlegt wurden auch die Reisebeschreibung „Im Centovalli“ und ein Lebensbild seines Bruders Philipp Meyer aus Oppertshofen. Es war sein letztes Werk und zeichnete ein Porträt eines weiteren namhaften „Sohnes Auhausens“, des verstorbenen Müllers und Politikers, Mitglied des Deutschen Bundestages von 1953 bis 1963. (pm)