Die Ausbildungszahlen in den Handwerksberufen in Nordschwaben bröckeln. Immer weniger Jugendliche starten nach ihrem Schulabschluss in eine Berufsausbildung. In den Bauberufen gehen die neuen Ausbildungsabschlüsse zurück und auch in den Klimaberufen wie Sanitär-, Heizungs- und Klimatechniker*in oder Elektroniker*in zeigt die Tendenz nach unten. Auf Wirtschaft, Gesellschaft und Verbraucher kommen durch das Fehlen von Fachkräften im Handwerk massive Probleme zu. Kreishandwerksmeister Werner Luther umreißt die Dimension: „Wir werden große Schwierigkeiten bei den Dienstleistungen des täglichen Bedarfs bekommen. Die Wartezeiten werden länger werden, die Preise werden steigen und handwerkliche Vielfalt und Qualität werden darunter leiden. Hinzu kommt, dass gerade handwerkliche Tätigkeiten nicht komplett automatisiert werden können. Digitalisierung und Automation können die Menschen nicht ersetzen. Wer möchte schon von einem Roboter die Haare geschnitten bekommen“, fragt Luther.
Auswirkungen hat der Fachkräftemangel auch auf die Erreichung der Klimaziele. Ohne die Profibetriebe aus dem Handwerk werden diese nicht zu realisiert werden können. Gebäudedämmung, der Umgang mit der Wasserstofftechnologie, der Einbau von Wärmepumpen, neuen Heizungen oder die Wartung von E-Fahrzeugen sind nur einige Bereiche, die Handwerksunternehmen anbieten und durchführen. „Das alles sind individuelle und komplexe Arbeiten, die nur Fachkräfte ausführen können und wenn wir diese nicht haben, dann sehe ich schwarz“, stellt Luther fest.
Keinen „Bock“ mehr auf Handwerk?
Die Handwerksunternehmen, die quer durch die Gewerke vom Friseur bis zum Zimmerer Nachwuchskräfte suchen, machen häufig die Erfahrung, dass junge Menschen, die frühzeitig mit dem Handwerk und seinen Berufen in Kontakt kommen, sich durchaus für diese Tätigkeiten begeistern lassen. „Doch das“, weiß Kreishandwerksmeister Luther, „geschieht im häuslichen Umfeld und auch in der Schule zu wenig. So einfache Dinge wie Bewegung und körperliche Aktivität bleiben auf der Strecke. Der Sportunterricht fällt oftmals aus. Viele Jugendliche sind stark auf ihr Handy und elektronische Medien fokussiert und befürchten, dass sie sich im Handwerk zu arg anstrengen müssen“. Hinzu komme, dass eine Berufsausbildung immer noch als „zweite Wahl“ angesehen werde. Im Denken von vielen, auch von vielen Eltern, ist die schulische und die akademische Ausbildung nach wie vor die Nummer eins. „Das war politisch jahrzehntelang so gewollt, ohne die Folgen für die Wirtschaft, die Gesellschaft und die Verbraucher im Blick zu haben“, übt Luther Kritik an den Verantwortlichen dieser Politik.
Politik hat Fehler gemacht
Der Besuch von weiterführenden Schulen und ein anschließendes Studium galt über viele Jahre als optimaler Lebensweg für junge Menschen. Daher wurden Hochschulen und Universitäten mit enormen finanziellen Mitteln ausgestattet, die allgemeinbildenden Schulen, auch die beruflichen Schulen, hatten das Nachsehen. Der heutige Sanierungsbedarf an diesen Einrichtungen kommt deshalb nicht von ungefähr. „Viel schlimmer ist aber, dass die Denke bei Eltern und Jugendlichen in diese Richtung beeinflusst wurde. Damit haben wir jetzt zu kämpfen. Anstatt auf beide Bereiche zu setzen – denn es braucht unbedingt beide Bereiche – wurde einseitig die akademische Bildung bevorzugt“ beschreibt Luther die Situation. Grundsätzlich glaubt er, dass ein Gegensteuern noch möglich ist: „Aber ehrlich gesagt, höre ich da mehr schöne Worte und sehe weniger Taten. Das Handwerk muss in den Schulen ankommen und dort auch erlebbar werden. Es braucht Aufklärung über die Chancen im Handwerk, die berufliche Sicherheit und auch die Lebenszufriedenheit, die aus dem Handwerk zu ziehen ist. Dies kann nur in einer gemeinsamen Anstrengung von Politik und Gesellschaft gelingen“.
Einstieg in handwerkliche Ausbildung jetzt noch
Jugendliche, die aktuell noch keinen Ausbildungsplatz haben oder in eine handwerkliche Ausbildung wechseln möchten, können auch jetzt noch einsteigen. Kreishandwerksmeister Luther hat da einige Tipps parat: „Viele Firmen ermöglichen den Jugendlichen auch jetzt noch kurze Praktika. So können sie Erfahrungen sammeln, spüren und sehen, wie modern das Handwerk heute ist“. Denn technische und digitale Anwendungen erleichtern die Arbeit enorm. „Am Bau schleppt heute keiner mehr Zementsäcke in die oberen Etagen. Der Betondruck beispielsweise eröffnet völlig neue Möglichkeiten. Das ist spannend und wer bei diesen Entwicklungen dabei ist, dem stehen viele Wegen offen“, ist sich Luther sicher. Modernes Handwerk ist daher auf jeden Fall gleichrangig mit akademischer Bildung. (pm)