„Eins habe ich tatsächlich von meinen 400 Schülern gelernt, dass Kunst nicht lehrbar ist, und es ist gut so“ – So äußerte sich Josef Oberberger im Rückblick auf seine 35-jährige Dienstzeit an der Akademie der Bildenden Künste München. Seine Schüler sehen das ganz anders. Voll Anerkennung sprechen sie von ihrem ehemaligen Lehrer. Sechzig von ihnen stellen nun im September und Oktober 2022 im Pfarrhof Gempfing aus. Pfarrhaus, Pfarrstadel, Holzlege und Marienkapelle sind angefüllt mit den Werken seiner Schüler.
Buntheit an Arbeiten
Es ist eine bemerkenswerte Ausstellung, die dort stattfindet. Bemerkenswert wegen des großen Umfangs, aber auch wegen ihrer Farbigkeit und Vielfältigkeit, die für den Lehrer Oberberger spricht. Gegenständliches und Abstraktes, Zeichnerisches und Malerisches, Ernsthaftes und Heiteres, Religiöses und Profanes sind locker aneinandergereiht. Die Auswahl hatten die Künstler selbst getroffen. Eingeliefert wurden Arbeiten aus der Studienzeit, aber auch Werke aus der jetzigen Schaffensperiode. Diese Buntheit ist nicht zuletzt das Ergebnis einer schöpferischen Freiheit, die Oberberger jedem seiner Schüler in hohem Maße einräumte. „Unser Programm ist kein Programm“ – Das konnten die Studenten schon beim Eintritt in das Atelier lesen. Oberberger hat es so formuliert: „Es war nie mein Standpunkt, einem Studenten zu sagen: Sie ähneln mir, und das freut mich. Mein pädagogisches Prinzip war es, einen Menschen so lange im Wasser schwimmen zu lassen, bis er um Hilfe ruft.“ Die Schüler sich selbst finden zu lassen, ohne ihnen seinen Stempel aufzudrücken, das war seine Lehrauffassung. So entwickelten sich seine Studenten zu Persönlichkeiten unterschiedlichster Couleur.
Heimat Oberbergers liegt in der chinesischen Philosophie
Oberbergers Unterrichtsprinzip gründete auf dem „Senfkorngarten“, dem Lehrbuch der chinesischen Malerei. Eine der Kernaussagen, die für alle Studenten sichtbar im Klassenraum aufgehängt war, beginnt mit den folgenden Sätzen: „Beim Studium der Malerei erstreben die einen Vielfältigkeit, die anderen Einfachheit. Vielfältigkeit ist übel, Einfachheit ist ebenso übel.“ Erst die Dialektik, die Auseinandersetzung mit den Gegensätzlichkeiten und Widersprüchen der Kunst, führt zu einer höheren Erkenntnisebene. Überhaupt fühlte sich Oberberger in der chinesischen Philosophie beheimatet. In seinem Werk findet sich immer wieder der meditierende Buddha, der auch seine Züge tragen konnte. Viele seiner Weisheiten schöpfte er aus den Schriften des Laotse. Das „Nichtstun tun“ und das „Nichtwollen wollen“ hatte er als seine Devise ausgegeben. Einem ehemaligen Studenten hat er dies mit großer Selbstironie so mitgeteilt: „Ich war schon vor 5000 Jahren als Chinese auf dieser Welt. Weil ich mich im Jenseits schlecht aufgeführt habe, hat man mich wieder zurückgeschickt.“
Sein künstlerischer Sehnsuchtsort jedoch war zeitlebens Frankreich. Im Jahre 1937 besuchte er erstmals Paris, sowie die Kathedralen von Chartres und Les Mans. Von da an faszinierten und inspirierten ihn die Kunst in den Museen und Kirchen sowie der Lebensstil.
Fragt man heute die Schüler nach ihrer Akademiezeit, dann sind es oft die kleinen Geschichten, die in Erinnerung blieben. Die Künstler wurden gebeten, Anekdoten für den Katalog niederzuschreiben und nach Möglichkeit durch Fotos und Bilder zu ergänzen. Das Ergebnis sind Episoden voller Witz und Ironie, die die Lehrerpersönlichkeit Oberberger treffend kennzeichnen. Diese Betrachtungen stellen auch einen Beitrag zur Akademiegeschichte dar. Von einem besonderen dokumentarischen Wert sind die Erlebnisse aus der Zeit der Studentenunruhen.
Als Oberberger im Jahre 1974 die Akademie verließ, verabschiedete er sich nicht mit einer Ausstellung eigener Arbeiten. Sein Wunsch war es vielmehr, eine Arbeitsausstellung mit Werken seiner Schüler zu zeigen. Damals waren 150 Künstler dem Aufruf gefolgt. Der bekannte Regisseur Percy Adlon hat den Abschied des Künstlers für das Bayerische Fernsehen filmisch begleitet. Die Dokumentation wurde seit ihrer Ausstrahlung im Jahre 1974 nicht mehr gezeigt.
Wie aus den Briefen der Akademie hervorgeht, war es damals schon schwierig, mit den ehemaligen Schülern der 1950er und 1960er Jahren in Kontakt zu treten. Umso komplizierter gestaltete sich die Recherche mit einem Abstand von fast 50 Jahren. Hinzu kam, dass manche Künstler bereits verstorben sind. Ansprechpartner waren daher die Kinder und Ehepartner. In manchen Fällen half das Internet. Am hilfreichsten waren die Kontakte, die die Schüler der Malklasse über die Jahrzehnte untereinander pflegten. So konnten in der Ausstellung 60 Künstler von Steinfurt in Westfalen bis Algund in Südtirol, von Waldmünchen bis Bühl bei Neu-Ulm präsentiert werden. (pm)
Die Ausstellung wird am Samstag, den 10. September 2022 im Pfarrhof Gempfing eröffnet und ist an den darauffolgenden Sonntagen bis zum 16. Oktober von 14 bis 17 Uhr bei freiem Eintritt zu sehen.