Eine Shoppingtour, ein Besuch in einer Gastronomie, beim Friseur oder in der Bibliothek, sogar eine Demonstration mit tausenden anderen Menschen sind schon jetzt möglich. Das Lernen Erwachsener hingegen – in kleinen Gruppen, unter Einhaltung geregelter Infektionsschutzmaßnahmen – in Integrationskursen, im Sprachenbereich, in der präventiven Gesundheitsbildung, in der politischen, kulturellen und künstlerischen Bildung hat weiterhin keine Perspektive. „Für uns als Volkshochschulen ist diese Situation untragbar“, betonen Erster Vorsitzender Paul Soldner und Geschäftsführerin Gudrun Reißer. „Obwohl Erwachsenenbildung in Bayern Verfassungsrang hat (Artikel 139) und in Artikel 1 des Bayerischen Gesetzes zur Förderung der Erwachsenenbildung als gleichberechtigter und eigenständiger Hauptbereich des Bildungswesens definiert ist, erfährt sie in der Öffnungsdebatte und in einer der größten gesellschaftlichen Krisen seit dem Zweiten Weltkrieg keine angemessene Berücksichtigung.“
Perspektiven eröffnen
Auch und gerade für Volkshochschulen müssen sich Perspektiven eröffnen. Seitdem am 16. März die Schließung der Volkshochschulen angeordnet wurde, habe man keine offizielle Anordnung mehr erhalten, wie es mit unserer Erwachsenenbildung weitergeht. Soldner und Reißer unisono: „Aber wir benötigen dringend eine zeitliche Perspektive zur Wiederaufnahme des Kursbetriebs“. Entsprechende Hygiene-und Raumkonzepte seien bereits erarbeitet. „Wir hier in Donauwörth haben zudem sogar ein Hygienekonzept bei der zertifizierten Firma Michael Öhlhorn (Vabeg) erstellen lassen“.
Wichtig dabei: „Es geht uns nicht um (vor-)schnelle Öffnungen. Maßgabe für diese Perspektive muss auch aus unserer Sicht immer ein sinnvoller Infektionsschutz sein. Uns stört aber insbesondere, dass die Erwachsenenbildung im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Bereichen nicht berücksichtigt wird. Bildung ist kein Luxus, sondern ein öffentliches Gut und bitter notwendig –auch als beste Prävention vor dem wachsenden Einfluss von Verschwörungstheorien und Fake News.
Ein Rettungsschirm sei daher auch für die Erwachsenenbildung aufzulegen Hauptfinanzquelle der Volkshochschulen sind in Bayern nämlich die Gebühren der Teilnehmer*innen. „Bei uns in Donau-wörth sind dies 55 Prozent des Etats (Bayern-Durchschnitt 40 %).“ Hinzu kämen 21 % kommunale Zuschüsse (29 Prozent), knapp 9 % Landeszuschüsse sowie 14 Prozent (25 %) sonstige Einnahmen, u.a. Mittel des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF).
Vhs-Geschäftsführerin Gudrun Reißer: „Allein im Monat April hatten wir Einbußen in Höhe von 100.000 Euro.“ Außerdem müssten demnächst anteilig Kursgebühren zurückgezahlt werden, weil die Kurse nicht fortgesetzt werden können; „stark davon betroffen sind hier auch unsere Außenstellen“.
Volkshochschulen sind Bildungspartner der Kommunen. Daher bedarf es einer gemeinsamen finanziellen Anstrengung von kommunaler Seite und auf Landesebene, um das bestehende, gut funktionierende System der Volkshochschulen in Bayern zu retten.
Finanzloch von 23,5 Millionen Euro
Bis Ende Juli rechnen die Volkshochschulen bayernweit mit einem Finanzloch von 23,5 Millionen Euro. Aufgrund erwartbarer Einschränkungen bei einem wieder aufgenommenen Kursbetrieb ab Herbst (kleinere Gruppen, Hygienemaßnahmen, Rückgang von Buchungen, Weiterentwicklung des digitalen Kursangebots) ist bis Ende 2021 mit einer Finanzierungslücke von mehr als 74 Millionen Euro zu rechnen. Die Folgen: Entlassungen und Insolvenzen insbesondere bei den privatrechtlich organisierten Volkshochschulen. Eine über 100-jährige flächendeckende Struktur der Erwachsenenbildung droht zu verschwinden.
Paul Soldner: „Wir stecken aber nicht die Hände in die Taschen und warten ab. Gudrun Reißer und ihr Team in der Geschäftsstelle erarbeiten gerade für die Zeit von Juli bis Mitte August ein kleines Sommerprogramm.“ Aufgrund der allgemeinen schwierigen Lage für die Arbeitnehmerschaft „machen wir uns außerdem Gedanken darüber, wie und ob wir im Herbst-/Wintersemester ein Sozialpaket für Arbeiternehmer*innen in prekärer wirtschaftlicher Situation schnüren können. D. h. welcher Preisnachlass bei den Kursgebühren für sie möglich wäre.“ Voraussetzung dafür allerdings sei, dass Kommunen und der Freistaat „uns weiterhin finanziell unter die Arme greifen“.
Investition in die Zukunft
Die Investition in Volkshochschulen ist eine Investition in die Zukunft – darüber besteht allgemeiner Konsens. Und dieses bestehende, gut funktionierende System der Volkshochschulen in Bayern zu retten sollte ein Anliegen der Politik sein. Denn durch die flexible und leistungsfähige Struktur zeigen Volkshochschulen einmal mehr (wie schon 2015 während der Flüchtlingskrise), was in ihnen steckt. Gudrun Reißer, die auch stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende im Landesverband (bvv) ist: „Unser bayernweites Online-Programm ‚vhs.daheim‘ ist für alle kostenfrei, jederzeit abrufbar, aber auch live und interaktiv mittels Chats zu nutzen.“ Und Paul Soldner ergänzend: „Wir vor Ort haben durch Prof. Dr. Joachim Grzega und Doris Marchadier zudem eigene ‚Corona-Überbrückungsangebote‘ (Sprachen/Yoga) online entwickelt …“ (pm)