Guten Tag Herr Breitenfeld. Zunächst einmal vielen Dank, dass Sie sich Zeit für unsere Fragen nehmen. Das Thema Fachkräftemangel ist in aller Munde. Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe für den Fachkräftemangel in Deutschland?
Philipp Erik Breitenfeld: Eigentlich gibt es nur einen einzigen, sehr markanten Grund und das ist der demographische Wandel in Deutschland. Früher war es Normalität, dass Familien drei oder mehr Kinder hatten. Auf dieser Basis wurde Ende des 19. Jahrhunderts auch das Prinzip der Sozialversicherung entwickelt. Die Idee dahinter: Viele Beitragszahler bezahlen einen Rentner. Die aktuelle Entwicklung geht allerdings in eine andere Richtung. Das klassische Familienbild hat sich mittlerweile stark verändert und wir hatten in den vergangenen Jahrzehnten Jahrgänge mit weniger als einem Kind im Durchschnitt pro Familie. Genau hier setzt das Problem des Fachkräftemangels an. Wir haben jetzt bereits über 20 Millionen Deutsche, die über 60 Jahre alt sind und die in absehbarer Zeit aus dem Arbeitsmarkt wegfallen werden. Gleichzeitig gibt es immer weniger Schulabsolventen, die dafür nachrücken. Heißt konkret: Der Facharbeiter, der uns heute fehlt, ist im Zweifel niemals geboren worden. Der demographische Wandel ist damit die größte Herausforderung für Unternehmen und für unsere Gesellschaft.
Ihr Unternehmen Humanus geht hier einen recht innovativen Weg. Können Sie uns den Grundgedanken erklären?
P. E. B.: Ich persönlich bin bereits seit über 21 Jahren in der Personaldienstleistung unterwegs und habe damals für einen großen Konzern in Süddeutschland gearbeitet. Schon damals war auffällig, dass ich trotz des guten Rufs des Unternehmens nicht alle Stellen besetzt bekommen habe.
Durch einen Zufall bin ich auf das Thema Demographie gestoßen. Mein Schluss war also, dass es in Zukunft nur mit qualifizierter Zuwanderung aus dem Ausland gehen kann. Unsere Gesellschaft hat von dieser Entwicklung nur einen Nutzen, wenn wir uns darüber klar werden, dass wir eine Einwanderungskultur wie beispielsweise Kanada und Skandinavien brauchen. Das ist eine klare Win-Win-Situation. Auf der einen Seite strukturschwache Regionen wie in Osteuropa und auf der anderen Seite eine echte Bedrohung für den deutschen Mittelstand. Die Grundidee von Humanus ist deshalb, diese beiden Themenfelder zusammenzubringen. Mittlerweile sind wir die Fachleute für Fachkräfte aus dem EU-Ausland.
Sie setzen dabei stark auf Integration. Nicht nur am Arbeitsmarkt, sondern auch in die Gesellschaft. Wie gelingt eine solche Integration am zielführendsten?
P. E. B.: Das macht genau unseren Erfolg aus. Wir begleiten das komplette Onboarding in Deutschland. Wir sehen uns dabei nicht als klassische Zeitarbeitsfirma, auch wenn wir natürlich das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz nutzen, um die Menschen erstmal nach Deutschland zu bekommen. Hier schaffen wir dann einen echten Perspektivwechsel für die Arbeitnehmer aus dem Ausland und unterstützen sie u.a. bei Behördengängen und bei der Wohnungssuche. Außerdem haben wir in jeder Landessprache Mitarbeiter, die als Ansprechpartner fungieren.
Stichwort Engpassberufe: Was sind aus Ihrer Sicht die Branchen mit den meisten offenen Stellen?
P. E. B.: Klassische Engpassberufe sind Mechatroniker, medizinisches Fachpersonal und davon schwerpunktmäßig in der Alten- und Krankenpflege und natürlich klassisch industrielle Berufe.
Der Fachkräftemangel macht auch nicht vor dem Landkreis Donau-Ries halt. Wo sehen Sie hier konkreten Handlungsbedarf?
P. E. B.: Deutschland ist heute sicherlich nicht mehr Einwanderungsland Nr. 1 in Europa. Die skandinavischen Länder haben uns hier schon lange den Rang abgelaufen. Wir sind viel zu wenig ausgelegt für eine Willkommenskultur in den ersten Arbeitsmarkt, das gilt auch für den Landkreis Donau-Ries. Ein Bürokratieabbau würde aus meiner Sicht hier schon Wunder bewirken. Noch bevor unsere Arbeitnehmer ein Willkommensschreiben erhalten, liegt bei ihnen ein Brief zur GEZ-Gebühr im Briefkasten. Das schreckt ab. Ich würde mir wünschen, dass wir hier im Landkreis mehr Berührungspunkte für Fachkräfte aus dem Ausland aufbauen. Dazu zählen z. B. mehr Integrationsfachberater. So können wir auch auf Dauer einer der stärksten Landkreise in Deutschland bleiben.
Aus Sicht eines Arbeitgebers, der ein Unternehmen mit über 750 Mitarbeitenden führt: Welche Faktoren spielen heutzutage beim Recruiting eine entscheidende Rolle?
P. E. B.: Ich bekomme häufig die Frage gestellt: „Philipp, wo bekomme ich denn die Leute her, die ich brauche?“ Aus meiner Sicht ist das allerdings die völlig falsche Frage. Wenn du heute richtig gute Leute rekrutieren möchtest, sollte sich ein Unternehmen zunächst völlig klar darüber sein, wofür man stehen möchte und diese Werte auch nach außen transportieren. Es gibt nichts Langweiligeres als den Großteil der Online-Stellenanzeigen – hier sollten sich Unternehmen stetig weiterentwickeln und für sich eine individuelle DNA schaffen. Für uns gilt hier konkret: Wir stehen für Wertschätzung und Mitarbeiterideen. Die zweite, vielleicht sogar viel entscheidendere Frage ist: Wo sitzen die Leute, die ich brauche? Deshalb sollten Arbeitgeber immer offen für Menschen, Vereine und Organisationen aus der Region sein. Ein einfaches Beispiel dafür: Einem potenziellen Mitarbeiter, der in seiner Freizeit bei der Feuerwehr oder dem THW engagiert ist, würde ich grundsätzlich ein hohes Maß an Zuverlässigkeit und einen guten Charakter attestieren.
Mittlerweile wird häufig von einem Wandel vom Arbeitgeberhin zum Arbeitnehmermarkt gesprochen. Stimmen Sie dieser Einschätzung grundsätzlich zu und wenn ja, wie bewerten Sie diese Entwicklung?
P. E. B.: Diese Entwicklung ist in den vergangenen Jahren tatsächlich in zahlreichen Bewerbungsgesprächen zu beobachten. Der Forderungskatalog wird immer größer, das eigene Engagement dafür kleiner. Wenn auch nicht immer erfreulich, müssen sich Arbeitgeber trotzdem auf die neue Situation und eine jüngere Generation einstellen und flexibler sein. Ich kann mich über Social Media beschweren oder die Plattformen zu meinem Vorteil nutzen.
Sie vermitteln mit Ihrem Unternehmen Arbeitnehmer an zahlreiche Unternehmen in Deutschland. Hatten Sie in den vergangenen Jahren jemals selbst das Problem, dass Sie die Auswirkungen des Fachkräftemangels erleben mussten?
P. E. B.: Herausfordernd ist die aktuelle Situation auch für uns, aber trotzdem einfacher als für viele andere Unternehmen. Dabei hilft uns auch unser guter Ruf in ganz Europa. In der Quantität gibt es bestimmt nicht mehr so viele Fachkräfte wie früher und trotzdem können wir unseren Bedarf noch gut decken. (Thomas Oesterer)