Interview mit Paul Kling

„Ich bin gerne Nördlinger“

Alt-Oberbürgermeister Paul Kling. Bild: Mara Kutzner
Paul Kling prägte die Geschicke der Stadt Nördlingen über zwei Jahrzehnte. Er war 24 Jahre lang der Oberbürgermeister von Nördlingen, 25 Jahre der Vorsitzende der Lebenshilfe Donau-Ries. Er saß für die CSU viele Jahre im Kreistag und war Vizepräsident des Bezirks Schwaben. Mit 87 Jahren blickt er auf ein bewegtes Leben zurück.

Lieber Herr Kling, schön dass Sie sich heute Zeit für unser Gespräch nehmen. Zum Einstieg beginnen wir mit ein paar kurzen Fragen. Was hat Sie heute schon beschäftigt und was steht heute noch bei Ihnen an?
Paul Kling: Heute steht eigentlich nichts Wesentliches an, aber ich bin zurzeit gemeinsam mit dem ehemaligen Stadtarchivar Dr. Sponsel beschäftigt, ein Geschichtsbuch herauszugeben, und zwar die Geschichte der CSU Nördlingen von 1945 bis 2020. Das hat uns jetzt lange beschäftigt.

Was trinken Sie lieber, Kaffee oder Tee?
Paul Kling: 
Kaffee, eindeutig.

Lieber Rad- oder Autofahren?
Paul Kling: 
Fast nur mit dem Rad.

Im Sommer lieber die Zeit im Freibad auf der Marienhöhe oder im heimischen Garten verbringen?
Paul Kling: 
Heimischer Garten, ich bin kein großer Schwimmer.

Donau-Ries oder Donauries?
Paul Kling: 
Ach, ja … (lacht). Wir haben damals im Kreistag beschlossen: Mit Bindestrich.

Welches Autokennzeichen haben Sie? Nö oder Don?
Paul Kling: 
NÖ.

Geht es in den Urlaub für Sie lieber in den Norden oder in den Süden?
Paul Kling: 
Heuer werden wir in den warmen Süden gehen, aber ich kann da jetzt nicht entweder oder sagen, weil wir beides immer praktiziert haben. Davon abgesehen, haben wir, solange es noch ging, immer Weltreisen gemacht.

Wie würden Sie sich selbst beschreiben?
Paul Kling: 
Verlässlich, sehr vernunftbedingt denkend und ja, ich bin gern ein Nördlinger, ich liebe meine Heimat.

Sie sind drei Jahre vor Kriegsbeginn geboren. Wie und wo sind Sie aufgewachsen?
Paul Kling: 
Ich bin 1936 geboren, in Nördlingen, in der Bergmühle. Das war nach wie vor eine Sägemühle, und damals hatten wir noch eine kleine Landwirtschaft dabei. Wir hatten einen Bauernhof, sodass wir nie Not gelitten haben, das muss man ganz offen sagen. Gegen Ende des Krieges haben wir als Kinder ständig die „Jabos“, Jagdbomber, über dem Ries gesehen. Ich kann mich heute noch erinnern, als ein Zug angegriffen worden ist, der von Nördlingen nach Wallerstein fuhr. Und ich kann mich noch an die Bombardierung des Bahnhofes in Nördlingen erinnern.

Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Schulzeit in der Nachkriegszeit?
Paul Kling: 
Das erste Schuljahr 1945 ist erst im Spätherbst losgegangen. Die Folgen waren katastrophale Verhältnisse an der Schule. Keine Schulbücher, die waren alle Nazi-behaftet und auch keine Lernmittel. Es gab nichts zu kaufen, also keine Hefte. Es war sehr schwierig. Außerdem gab es Lehrermangel, sodass wir nur alle zwei Tage Schule hatten. Im Winter gab es kein Heizmaterial. Das erste Schuljahr wurde dann wiederholt, das Jahr konnte nicht gezählt werden. Von da bin ich dann zuerst auf der Realschule gewesen, und dann wurde das humanistische Gymnasium mit Anfangslatein eingeführt. Ich bin dann umgestiegen auf das Gymnasium. Interessanterweise war es Dr. Kessler, der diesen humanistischen Zweig eingeführt hatte.

Ich las, dass Sie als Gymnasiast mit der Schulklasse mit dem Rad bis nach Italien fuhren. Wie kam es denn zu dieser ungewöhnlichen Radtour?
 Paul Kling: Wir hatten damals einen sehr beliebten Latein- und Griechischlehrer, Dr. Wittmer. Dessen Idee war es, wir könnten eine Radtour nach Italien machen. Wir waren 23 Tage unterwegs. Damals gab es keine Gangschaltung, aber wir waren richtig fit. Unser Lehrer war aufs Beste vorbereitet, wir haben uns alles angeschaut, vom Bodensee über Monza, Genua, an der Riviera entlang, nach Pisa über Bologna, Florenz, Verona und über den Brenner wieder zurück nach München. Wir haben am Tag Strecken von über 100 Kilometern zurückgelegt, das hat uns damals überhaupt nichts ausgemacht. Wir hatten eine bomben Form. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, dass jemand heute unter diesen Umständen, so etwas wagen würde. 

Welchen Karriereweg schlugen Sie nach der Schulzeit ein?
Paul Kling: 
Dr. Kessler, der spätere OB, hat mich einige Zeit begleitet. Er hat vier Fächer unterrichtet: Latein, Griechisch, Deutsch und Geschichte und hat mir dann empfohlen, auch das zu studieren. So bin ich dann auf diese Spur gesetzt worden. Ich habe dann an der LMU in München Latein, Griechisch und Germanistik studiert und 1959 mein Staatsexamen gemacht. Dann sind es zwei Referendarjahre, die man absolvieren musste. Danach bin ich ans Theresien Gymnasium in München versetzt worden.

Wie hat es Sie dann wieder zurück nach Nördlingen verschlagen?
Paul Kling: 
die aus Oberammergau kommt. Wir haben geheiratet und dann lag nahe, dass ich mich nach Garmisch versetzen lasse. Das hat geklappt und ich bin da geblieben bis 1965. Ich musste jeden Tag von Oberammergau nach Garmisch fahren. Also habe ich meiner Schwiegermutter den Vorschlag gemacht, wir verkaufen das Haus und bauen in Garmisch. Und dann kam für mich eine überraschende Antwort: Nein, nach Garmisch ziehen wir nie. Die Oberammergauer mögen die Garmischer nicht. Und obwohl ich dort ein tolles Kollegium hatte, gab es für mich eigentlich nur einen Weg, nämlich zurück nach Nördlingen. In Garmisch habe ich sogar einen berühmten Schüler gehabt, den Neureuther (Anm. d. Red.: Christian Neureuther, Skirennläufer und Vater von Felix Neureuther). Der war auch ein paar Mal da mit seiner Frau und wir haben uns getroffen. Ich habe die Familie Neureuther gut gekannt, aber das nur am Rande.

Warum haben Sie entschieden in die Kommunalpolitik zu gehen?
Paul Kling:
Ich bin politisch schon etwas vorgeprägt gewesen durch meinen Vater. Er war von 1946 bis 1952 Stadtrat in Nördlingen. Und ich habe damals eine Persönlichkeit kennengelernt, die politisch einen Eindruck auf mich gemacht habe, mit der ich dann lange Jahre persönlich befreundet war. Das war Anton Jaumann. Nach dem Abitur bin ich der CSU beigetreten. Ich war damals, nicht nur als JU-Vorsitzender, sondern insgesamt auch als Redner bei Wahlkampfveranstaltungen gleich als JU-Mann mit tätig. Und dann war es kein Wunder, dass ich 1972 sowohl im Stadtrat als auch im Kreistag sehr gut gewählt wurde.

Im Jahr 1972 wurde auch die Gebietsreform Realität – heute, 50 Jahre später ist der Landkreis zu einem gewachsen – haben Sie sich das damals eigentlich vorstellen können?
Paul Kling: 
Nein, das hat man sich nicht vorstellen können. Das war eine ganz schwierige Zeit. Grundsätzlich: Die Reform war sicher notwendig!

Ist der Landkreis jetzt zu einem zusammengewachsen?
Paul Kling: 
Na gut, Widerstände haben sich inzwischen gelegt. Und es ist nach wie vor ein gewisses Konkurrenzdenken zwischen Donauwörth und Nördlingen vorhanden, und das ist gut so. Das ist für beide gut, weil sie sich damit auch anstrengen, möglichst gleichwertig zu sein, um nicht zu sagen „die Nase vorn zu haben“. (lacht)

1982 wurden Sie Oberbürgermeister der Stadt Nördlingen. Wenn Sie die Zeit zwischen 1982 und 2006 mit einem Satz beschreiben müssten, wie würden Sie antworten?
​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​Paul Kling:  In der Rückschau sieht man gewöhnlich nur das Positive! Es war für mich eine sehr erfüllende Zeit und denke auch, dass Nördlingen während dieser Zeit auf vielen Ebenen große Fortschritte gemacht hat.

Mit Dr. Wittmer, dem Latein- und Griechisch-Lehrer, und Klassenkameraden im Jahr 1952 auf großer Radtour in Italien. Auf dem Bild ganz links: Paul Kling. Bild: Wittmer

Und nun lassen sie uns noch etwas ausführlicher über ihre Zeit als Stadtoberhaupt sprechen.

Paul Kling beim historischen Festumzug des
Nördlinger Stadtmauerfestes. Bild: privat

Die Altstadt wurde zu Ihrer Zeit aufwändig saniert. Wie wichtig war das für den Tourismus in Nördlingen?
Paul Kling: 
Für mich war die Altstadtsanierung nur ein Nebeneffekt für den Tourismus, das muss ich ganz ehrlich sagen. Die Altstadtsanierung war eine Sache für sich. Es war vieles zu machen und wir haben große Fortschritte gemacht. Die Stadt ist immer wieder voran gegangen, aber das muss ich immer wieder betonen, die Bürger haben sehr schnell gemerkt, welche Vorteile eine Sanierung mit sich bringt. Sie haben mit sehr viel gutem Willen und Eigenleistung mit viel Freude und Einsatz, persönlich wie auch finanziell, mitgemacht

Warum war Ihnen die Stärkung von Bau- und Gewerbegebieten, wo sich Industrie und Handwerk ansiedeln konnte, so wichtig?
Paul Kling: Mir war klar, dass wir im administrativen Bereich keine so großen Chancen haben werden, weil die Hauptämter alle in Donauwörth sind. Auch nicht der Tourismus, da bin ich ganz offen. Tourismus wird in Nördlingen nie die Funktion und den Wert wie in Dinkelsbühl oder Rothenburg haben – das war auch nicht mein Ziel.
Unsere einzige Chance lag beim produzierenden Gewerbe, deswegen haben wir da immer ein Hauptgewicht draufgelegt, entsprechende Industrie- und Gewerbegebiete auszuweisen und Betriebe hier her zu bringen.

Sie haben die Wende als Oberbürgermeister Nördlingens erlebt und kurz nach dem Mauerfall eine Verbindung in eine ostdeutsche Stadt geschaffen, die bis heute anhält. Wie kam es zur Städtepartnerschaft mit Stollberg?
Paul Kling: 
: Ein Kuriosum! Stollberg in Sachsen ist rein zufällig auf uns gestoßen. Ich weiß es noch bis heute, das war an einem Freitagnachmittag, da haben die rundgerufen. Bei den anderen Städten war niemand mehr im Rathaus, und ich war am Freitagnachmittag noch rein zufällig in meinem Amtszimmer und habe den Anruf angenommen. Ich habe gesagt, wir sind durchaus interessiert. Wir haben am kommenden Montag eine Finanzausschusssitzung, kommen Sie doch, und stellen Sie sich vor. Das war der Anfang!

Was war die größte politische Herausforderung für Sie persönlich?
Paul Kling: 
Ich muss ganz offen sagen, mir ist nicht alles gelungen. Da war sicher eines, was für mich schon ein Scheitern war, nämlich die Errichtung eines Thermalbads in Nördlingen.

Lassen Sie uns über die Lebenshilfe Donau-Ries sprechen deren Vorsitzender Sie 25 Jahre lang waren. Was waren wichtige Meilensteine der sozialen Einrichtung?
Paul Kling: 
Wir haben riesige Fortschritte gemacht. Ich kann mich noch gut erinnern, wie es früher war mit behinderten Menschen. In meiner Kindheit hat man sie versteckt, und wenn es bekannt war, das muss ich mir auch zum Vorwurf machen, hat man sich lustig über sie gemacht. Das war eine schlimme Zeit. Wenn ich heute durch die Stadt gehe, dann ist es ein gewöhnliches Bild und selbstverständlich, dass Behinderte mit uns und unter uns sind. Wir haben eine Fülle von Einrichtungen geschaffen: Die Werkstätten Nördlingen erweitert, wir haben neue Werkstätten gebaut in Bäumenheim und jetzt zuletzt in Wemding. Die Schule in Oettingen haben wir ausgebaut, im Wohnbereich enorme Investitionen getätigt. Und schließlich haben wir eine weitere eigene Einrichtung, die Roko, mit verschiedenen Einrichtungen, zum Beispiel den CAPMarkt.

Es liegt nicht mehr in Ihren Händen, dennoch erlauben Sie die Frage zu Nördlingens Gegenwart und Zukunft. Was sind die Themen, die für Sie in der Stadt gerade höchste Priorität haben?
Paul Kling: Das ist nach wie vor der Erhalt der Wirtschaftskraft. Ohne die Wirtschaftskraft fehlt die Grundlagen für die Finanzierung für alles andere.

Wie hat sich Nördlingen in den letzten 20 Jahren entwickelt?
Paul Kling: 
Ich muss sagen, Nördlingen hat sich kontinuierlich gut weiterentwickelt!

Und wo sehen Sie Nördlingen in den nächsten 20 Jahren – das Nördlingen, das Ihre Enkel erleben?
Paul Kling: 
: Mit allen Einrichtungen, die doch zum größten Teil sehr modern sind, mit einer großen Attraktivität der Stadt selbst, auch des Rieses und seiner Bedeutung als Geopark, glaube ich, dass Nördlingen sehr gute Zukunftschancen hat.

Auch beim TSV waren Sie lange Zeit im Vorstand aktiv. Welchen Sport haben Sie denn selbst getrieben?
Paul Kling: 
Von Kind auf war ich sportlich aktiv, vor allem habe ich Fußball gespielt. Unter anderem mit dem Bruder von Gerd Müller. Später habe ich gerne Volleyball gespielt und meine große Leidenschaft war auch Skifahren.

Wenn Sie Gäste haben, welchen Ort in Nördlingen besuchen Sie gemeinsam mit ihnen?
Paul Kling: 
Die St. Georgskirche würde ich als erstes besuchen.

Wie verbringen Sie Ihren Ruhestand, Herr Kling?
Paul Kling: 
Man geht die Dinge jetzt viel langsamer an. Es ist einfach schön, wenn man in aller Ruhe seinen Kaffee genießt und Zeitung nutzt. Im Sommer muss natürlich unser Garten versorgt werden, soweit ich das noch selbst machen kann. Man liest, schaut auch Fernsehen, da interessiert mich vor allem der Sport. Ich bin ja ein alter Bayern Fan!

Sie sind weitgereist. Gibt es eine Reise, die Sie besonders beeindruckt hat?
Paul Kling: In den späten 90er Jahren ging es los, dass ich mit meiner Frau die ganze Welt bereist habe. Ich war in Australien in der Partnerstadt, Neuseeland, mit einer bayerischen Delegation in Japan, in Markham, der Partnerstadt in Kanada, Riom in Frankreich. Von den europäischen Ländern haben wir alle besucht. Da würde ich mich jetzt wirklich schwer tun zu sagen, was mich besonders beeindruckt hat. Ob ich Indien, China, Vietnam, Kambodscha, ... nenne. Im September gehen wir es sehr geruhsam an. Wir machen Erholungsurlaub in Abano, im Thermalgebiet.

Gibt es einen Spruch oder ein Motto, welches Sie auf Ihrem Lebensweg begleitet?
Paul Kling: 
Den Tag so gut wie möglich und so sinnvoll wie möglich nutzen. 

Kommen wir zum Self-Rating Test schätzen sie bitte ihre Fähigkeiten von Null Punkten völlig unbegabt bis zu Zehn Punkten maximale Begabung ein.

Großvater?
Paul Kling: 
8 Punkte.

Politiker?
Paul Kling: 
Das müssen die Leute beurteilen, aber ich kann eines sagen, dass ich bei meiner letzten Wahl keine Gegenkandidaten mehr hatte. Das war schon eine gewisse Wertschätzung. Ich habe den Eindruck, die Leute waren zufrieden mit mir.

Koch?
Paul Kling: 
0, aber meiner Frau gebe ich 10 Punkte.

Vermittler?
Paul Kling: 
8 Punkte.

Helfer?
Paul Kling: 
8 Punkte.

Vielen Dank, Herr Kling, für das Gespräch!