Seit dem 1. Mai ist David Wittner Nördlingens Oberbürgermeister. Vorher war der 38-jährige gebürtige Nördlinger, der Leiter der Tourist-Information. Somit kennt er sich also dreifach gut aus in Nördlingen. Mit David Wittner bin ich in seinem Büro im Rathaus verabredet. Um dorthin zu gelangen geht es über eine Freitreppe aus Suevit-Haustein, dem Gestein, dass vor rund 15 Millionen Jahren durch die kosmische Katastrophe entstand, die auch das Ries schuf, zum Eingang des Rathauses. Seit über 600 Jahren ist das „Steinhaus zu Nördlingen“ das Rathaus der Stadt. 1307 war das Haus noch im Besitz der Grafen von Oettingen, die es als ihr Stadthaus bewohnten, ehe sie es 1313 an das Zisterzienserkloster Heilsbronn verkauften. 1382 schließlich pachtete, die Stadt das Haus und kaufte es dann 1525. Ursprünglich war das Gebäude zweistöckig, wurde aber 1499/1500 um ein weiteres Stockwerk erhöht. 1509 errichtete Baumeister Stephan Weyrer dann den Fassadenerker und den Schatzturm. Im Büro angekommen versorgt mich der Oberbürgermeister mit wertvollen Tipps, welche Orte ich mir in Nördlingen anschauen kann. Obwohl ganz Nördlingen sein Lieblingsort sei, hat das Stadtoberhaupt einige Tipps für mich parat, die er in seiner Zeit als Leiter der Tourist-Information kennen und lieben gelernt hat. Ausgestattet mit guten Tipps für meinen Spaziergang, mache ich mich zusammen mit dem Oberbürgermeister auf den Weg zu einem Ort, den er mir noch persönlich zeigen möchte.
Besuch beim Türmer und der Taubenabwehr
Die Rede ist vom Daniel, dem Kirchturm der spätgotischen Hallenkirche St. Georg, der 90 Meter in den Nördlinger Himmel ragt und früher Wendelstein hieß. „Der Daniel muss einfach sein, der gehört dazu und ist für mich immer noch ein absolutes Highlight. Ich bin auch immer gerne, wenn Gäste kommen, auch im neuen Job als OB, dort oben. Wer sich nicht gleich mit Händen und Füßen wehrt und es noch nicht kennt, der darf mich auch gerne auf den Daniel begleiten. Es ist einfach ein besonderer Ort, man hat diesen Weitblick ins Ries, man blickt auf die Stadt und es ist immer auch ein Ort der Ruhe und der besonderen Begegnungen. Immer wieder Zufallsbegegnungen mit Gästen oder auch Nördlingern. Aber eben auch der ganz eigene Rhythmus, das ganz eigene Zeitgefühl, aus dieser jahrhundertelangen Tradition und Geschichte des Turmes und der Kirche. Dort oben herrscht einfach ein eigenes Flair“, schwärmt David Wittner. 350 Stufen wollen erklommen werden, um am Ende einen fantastischen Rundumblick auf Nördlingen zu genießen. Auf dem Weg nach oben werfe ich gemeinsam mit dem Oberbürgermeister einen Blick in den imposanten Dachstuhl des Kirchenschiffs. Auf unserem weiteren Weg nach oben kommen wir außerdem am Lastenaufzug vorbei, den die Türmer nutzen, um Prospekte und Flyer nach oben zu transportieren. Einen Personenaufzug gibt es nicht, erklärt mit Wittner schmunzelnd. Nach fast 350 Stufen erreichen wir die Türmerstube. Heute hat Ralf „Ralla“ Kluge Dienst. Neben dem Türmer werden wir von einer besonderen Stadtangestellten begrüßt. Seit mittlerweile 11 Jahren wohnt die Katze Wendelstein hier. „Letztes Jahr haben wir Wendelstein zum 10-jährigen Jubiläum gratuliert. Mein Vorgänger Herrmann Faul kam dazu extra auf den Daniel. Die Katze bekam neben einer Urkunde auch einen Geschenkkorb“, erzählt der Oberbürgermeister lachend und fügt hinzu „Wendelstein ist auch im Haushalt der Stadt verankert und läuft unter Taubenabwehr.“ Ihren eigenen Posten im Haushalt hat die vierbeinige Turmbewohnerin zu Recht, denn seit Wendelstein auf dem Daniel unterwegs ist, gibt es tatsächlich kein Problem mehr mit Tauben.
Herrlicher Blick vom Daniel
Nach einer kurzen Verschnaufpause, die wir vermutlich nur wegen mir eingelegt haben, erklimmen wir die letzten Stufen, um zur Aussichtsplattform zu gelangen. Die schmale Aussichtsplattform des Daniel, eröffnet einen grandiosen Rundblick über Nördlingen und die Umgebung. Der Oberbürgermeister zeigt mir von oben sein Nördlingen. Angefangen bei der alten und der neuen Stadtmauer, dem Anker-Areal, das zum Eger-Viertel mit Kindertagesstätte und Wohneinheiten umgebaut werden soll, bis zum Stabilus-Areal, das bereits Wohneinheiten beherbergt, gibt er mir so einen kleinen Einblick, in welche Richtung sich Nördlingen in den nächsten Jahren entwickeln wird und muss. Als ich von hier oben die Aussicht auf mich wirken lasse, muss ich daran denken, was Wittner über den Rhythmus und das ganz eigene Flair auf dem Daniel gesagt hat. Er hat Recht. Hier oben scheint die Zeit stillzustehen. 350 Stufen später stehen wir wieder vor dem Daniel, wo sich unsere Wege trennen.
Dem Alltag entfliehen
Über den Weinmarkt und die lange Gasse setze ich meinen Spaziergang in Richtung der Frickhinger-Anlagen fort, die mir Wittner als wahres Kleinod beschrieben hat. Ermöglicht wurden die Anlagen durch den Naturwissenschaftler und Apotheker Hermann Adalbert Frickhinger (1851–1940), der im ehemaligen Stadtgraben einen botanischen Lehrpark mit einheimischen Gewächsen und fremdländischen Baumarten anpfl anzte. Auch ein Rosarium mit verschiedensten Rosensorten, Zierpfl anzen und Kunstwerken, Kinderspiel- und Boule-Platz, Minigolf-Anlage und Ruhebänken findet man in der stadtnahen Erholungszone. Nur einen Katzensprung davon entfernt befi ndet sich sowohl die Freilichtbühne Alte Bastei. Die Alte Bastei wurde als mächtiges Bollwerk an der am meisten gefährdete Seite der Stadt errichtet. Der heute erhaltene Bau wurde Mitte des 16. Jahrhunderts errichtet. Seit den 1930er Jahren nutzt der Verein Alt Nördlingen die Alte Bastei als Freilichtbühne. Im sogenannten Ochsenzwinger, der direkt nebenan liegt, und dessen erster Besitzer der Gastwirt „zum Goldenen Ochsen“ in der Reimlinger Straße war, wurde 2004/2005 durch die Stadt Nördlingen saniert und wird heute als Kulturzentrum genutzt.
Oase inmitten der Altstadt
Entlang der Reimlinger Mauer und vorbei am Reimlinger Tor erreiche ich die Deininger Mauer und besuche einen weiteren Ort, den mir der Oberbürgermeister empfohlen hat. Versteckt hinter einem hohen braunen Holzzaun befindet sich eine kleine Oase mitten in Nördlingen. Der Schneidt’sche Garten. „Hier kann man auch am wuseligsten und hektischsten Arbeitstag mal für eine halbe Stunde durchschnaufen“, hat mir David Wittner versprochen. Im Zentrum des Gartens steht eine Eiche, die über 400 Jahre alt ist. Auch Ruhebänke und einen kleinen Rundweg findet man dort. Ursprünglich war der Garten der Privatgarten des Fuhrunternehmers Karl Schneidt. Entlang der Stadtmauer gehe ich durch die schmalen Gassen der Nördlinger Altstadt, deren Mauern schon so einiges gesehen haben. Das kompakte Stadtbild, das Ideal einer mittelalterlichen Stadt in deren verwinkelten Gassen man sich auch einfach mal verlieren kann zeichnet die Nördlinger Altstadt aus.
Angekommen am Löpsinger Tor erreiche ich auch das Stadtmauermuseum, dass sich im Turm des Tores befindet und ein weiterer Tipp von David Wittner ist. „Das ist von den Exponaten her sehr sehenswert, und vom Tor aus hat man einen tollen Blick aus der Stadt hinaus und in die Stadt hinein. Das ist tatsächlich etwas, was viele gar nicht wissen, dass eine kleine unscheinbare Tür vom Wehrgang hinauf in den Turm führt“, erinnere ich mich an die Worte des Oberbürgermeisters. Seit 1987 befindet sich das Wehrkundemuseum im 1379 fertiggestellten Löpsinger Tor. Dort wird die Geschichte von Deutschlands einziger erhaltener Verteidigungsanlage mit voll begehbarem Wehrgang gezeigt. Überhaupt empfiehlt es sich die Stadtmauer samt ihren Türmen zu erkunden, da sich dort mehr versteckt, als man vielleicht erwartet, so zum Beispiel das Café Kasarm, dass sich an der Reimlinger Mauer befindet, oder das Turmcafé im Berger Tor. Ich gehe noch ein Stück weiter an der Stadtmauer entlang, bevor ich in die Vordere Gerbergasse abbiege, durch das Gerberviertel gehe und an der dortigen Kneipp-Anlage eine kleine Pause einlege. Das Geberviertel liegt direkt an der Eger. In den Jahren um 1618 arbeiteten dort bis zu 152 Gerbermeister. Das Gerberhandwerk kam Mitte des 20. Jahrhunderts in Nördlingen jedoch völlig zum Erliegen, 1961 schloss die letzte Gerberei.
Nur wenige Schritte später komme ich an der Geopark Ries Infostelle vorbei und biege dann von der Hinteren Gerbergasse auf den Eugene Shoemaker-Platz ab, um zum RiesKrater Museum zu gelangen. Auch diesen Tipp habe ich von Oberbürgermeister David Wittner. Vor meinem Spaziergang hatte er mir gesagt, dass das Museum mit dem Mondgestein und den tollen Exponaten ein spannender Ort in Nördlingen ist, an dem man viel rund um das Thema Rieskrater, Ries und Meteoriten erfahren kann.
Über die Vordere Gerbergasse und die Baldinger Straße führt mich mein Weg zurück zu meinem Startpunkt. Unterwegs sauge ich noch weiter den Charme, den die Nördlinger Altstadt mir ihren hübschen kleinen Häusern und den verwinkelten Gassen versprüht, in mich auf. Zufrieden und mit neuen Eindrücken im Gepäck mache ich mich auf den Heimweg und weiß dabei ganz genau, dass es in Nördlingen noch einiges zu entdecken gibt.