Hallo Frau Dr. Gaudernack, schön, dass Sie sich heute Zeit für unser Interview nehmen.
Wo kommen Sie gerade her, und was hat Sie heute schon beschäftigt?
Ich komme aus dem Homeoffice und vom Homeschooling. Diese Parallelität zwischen meinem Beruf und meiner Drittklässlerin, die gerade lernt, Kilometer in Meter umzurechnen, das beschäftigt mich gerade täglich.
Early Bird oder Night Owl?
Early Bird.
Lieber Weißwein oder Rotwein?
Rot.
Eher Facebook oder Instagram?
Beides, aber noch eher die Generation Facebook, weil es mehr text- als bildbasiert ist.
Kinder oder Karriere?
Ich würde sagen, das ist tagesform-abhängig.
Beschreiben Sie sich doch einmal selbst mit drei Eigenschaften.
Meinungsstark, kommunikativ, rastlos.
Wollten Sie schon als Jugendliche Richterin werden?
Eigentlich nicht, aber ich wollte Jura studieren, weil ich in den Diplomatischen Dienst wollte.
Was hat Sie an Jura begeistert?
Mich hat fasziniert, was man damit machen kann. Ich hätte mir auch gut vorstellen können, an der Uni zu bleiben, aber ich war auch sehr an Sprachen interessiert. Und wie gesagt, ich wollte eigentlich Diplomatin werden und in die große weite Welt ziehen.
Nach Ihrem Studium in Regensburg und in den USA sind Sie nach Berlin gegangen. Wie hat es Sie nach Berlin verschlagen?
Mein Mann ist Berliner, wir haben beide in Regensburg studiert und sind dann nach Berlin. Ich hätte mir ein Leben in Berlin auch sehr gut vorstellen können. Wir waren sieben Jahre dort.
Und wo genau waren Sie tätig?
Ich habe meine Doktorarbeit abgeschlossen und war während des Referendariats unter anderem im Auswärtingen Amt tätig. Später dann am Verwaltungsgericht und am Familiengericht in Berlin.
Warum sind Sie dann wieder in Ihre Heimat zurückgekehrt?
Als mein Sohn geboren wurde, hat das unser Leben ganz schön auf den Kopf gestellt. Und irgendwie ist es auch so, dass man das Mädel vom Lande dann doch nicht raus aus mir bekommt. Das soziale Netz in der Kleinstadt, das ländliche Leben, hat einfach Vorteile mit Familie. Wie gut es uns hier geht, merke ich immer, wenn ich mit Freunden aus Berlin spreche und erzähle, dass unsere Kinder einfach mit dem Rad zum Sport fahren können.
Beruflich waren Sie dann als Richterin am Landgericht in Augsburg tätig, oder?
Ja genau, erst noch ein Jahr am Amtsgericht in Nördlingen, dann bei der Staatsanwaltschaft in Augsburg und dann am Landgericht. Zwischendurch habe ich noch am Amtsgericht in Dillingen vertreten.
Können Sie ganz kurz erklären, warum es dieses Amt gibt und für was es zuständig ist?
Am 1. August 2015 ist das Bayerische Maßregelvollzugsgesetz in Kraft getreten – und das war längst überfällig. Das Amt übernimmt die Fachaufsicht und schaut genau hin, ob der Maßregelvollzug in Bayern rechtmäßig und zweck-mäßig geführt wird.
Was genau bedeutet Maßregelvollzug nun eigentlich?
Wenn jemand eine Straftat begangen hat, aber nicht schuldfähig und psychisch krank ist, wird er im Maßregelvollzug untergebracht und dort therapiert. Das sind Personen, die nach Paragraf 63 des Strafgesetzbuches verurteilt sind. Dann gibt es noch den Paragraf 64, viele Suchtkranke zum Beispiel fallen darunter. Sie bekommen eine „normale“ Haftstrafe. Normalerweise wird nach zwei Dritteln der Haft die Strafe auf Bewährung ausgesetzt. Wenn Paragraf 64 greift, wird man nach einem Teil der Haft von der JVA in die Forensik verlegt und kann nach der Hälfte der gesamt Haftzeit entlassen werden. Die Paragrafen 63 und 64 sind aber für zwei völlig unterschiedliche Personengruppen gedacht.
Wie viele Maßregelvollzugseinrichtungen gibt es in Bayern und wie viele Menschen sind dort untergebracht?
Es sind 14 Kliniken in denen circa 2 700 Menschen untergebracht sind. Dazu gehören auch eine Spezialeinrichtung. Die Kliniken sind alle gemischt, aber eine ist nur für Frauen. Außerdem gibt es zwei Kliniken für Jugendliche.
Bei Nachrichten über Mord, Vergewaltigungen oder anderen schrecklichen Verbrechen werden hier und da Stimmen laut, dass Täter „auf psychisch krank“ machen und im Krankenhaus dann mit Samthandschuhen angefasst werden. Wie argumentieren Sie dann?
Ja, so heißt es dann schonmal, oder andere fordern bei solchen Taten die Todesstrafe. Mit solchen Aussagen tue ich mich ganz schwer. Ich bin natürlich gegen die Todesstrafe, die könnte ich mit meinem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit nicht vereinbaren. Dass jemand auf „psychisch krank macht“ ist eine völlige Verkennung der Situation. Diese Menschen sind krank und sie werden nicht „verhätschelt“. Unser System ist so aufgebaut, dass es das beste dafür tut, dass Täter*innen keine Gefahr mehr darstellen. Und dafür sind Wasser und Brot nicht die beste Möglichkeit, sondern eben eine gute Therapie.
Ist es richtig, dass manche Menschen, die im Maßregelvollzug untergebracht werden, gar nicht wissen, ob und wann sie jemals wieder auf freiem Fuß sind?
Im Strafvollzug ist das ja anders. Jemand im Gefängnis weiß genau, wie viele Tage er „absitzen“ muss. Ja genau, Maßregelvollzug kann auch lebenslang bedeuten, wenn man nach dem Paragraf 63 StGB untergebracht ist. Die Begründung ist immer die Gefährlichkeit einer Person – und ob und wann die Therapie das bewirkt, kann man ja im Vorhinein nicht wissen.
Seit 2019 ist Ihrer Behörde als Teil des Zentrums Bayern Familie und Soziales (ZBFS) auch das Amtfür öffentlich-rechtliche Unter-bringung angegliedert. Wofür ist dieses Amt denn zuständig?
Das Amt übernimmt die Aufsicht über die Unterbringung nach dem Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz. Wenn jemand zum Beispiel in einer psychischen Ausnahmesituation von der Polizei aufgegriffen wird, keine Straftat begangen hat, aber beispielsweise mit einem Messer droht, stellt er eine Gefahr für sich und andere dar und wird in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Von der Dimension und auch der Finanzierung ist das mit dem Maßregelvollzug nicht zu vergleichen. Die öffentlich-rechtliche Unterbringung greift meist in diesen Akutsituationen und die Menschen werden nur ganz kurz, vielleicht nur eine Nacht, untergebracht. Meistens sind sie dann bereit für eine längerfristige Therapie, die ja ganz normal von den Krankenkassen abgerechnet wird. Wir sind dann nicht mehr zuständig.
Haben Sie, als Behördenleiterin, und ihre Mitarbeiter*innen eigentlich auch direkten Kontakt zu den Patient*innen?
In diesem Hinblick sind wir eine ganz unkonventionelle Behörde. Wir haben ganz regelmäßig Kontakt zu den Einrichtungen und den Menschen, die dort untergebracht sind. Wir führen jährliche Prüfbesuche in den Einrichtungen durch, um zum Beispiel die Dokumentationen zu prüfen. Wir machen Stichproben bei den Behandlungsplänen, die nicht älter als sechs Monate sein dürfen. Aber wir sind auch Ansprechpartner für Angehörige und die Patient*innen. Da geht es um Fragen, ob Lockerungen gemacht werden, aber auch um ganz praktische Fragen, wenn ein Kühlschrank kaputt ist, oder wie das sogenannte Motivationsgeld aus Arbeits- und Ergotherapie angerechnet werden kann. All so etwas ist nicht Aufgabe der einzelnen Einrichtungen, denn es soll ja einheitlich gleich geregelt sein.
Sie sind Mutter von drei Kindern – wie gelingt es Ihnen, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bekommen?
Im öffentlichen Dienst gelingt das insgesamt ganz gut, eigentlich allgemein als Beamtin, denn man hat einen sicheren Job und ein garantiertes Einkommen. Als Richterin konnte ich meine Gerichtstermine selbst festlegen, da kann man sich prima nach der Familie richten. Als Führungskraft in der Verwaltung sieht das aber schon ein bisschen anders aus. Manchmal kommen Anfragen von Politikern oder der Presse, man muss schnell reagieren und ist viel unterwegs. Mir konnten Kinder und Karriere aber gelingen, weil wir eine hervorragende Kinderbetreuung hatten.
Sind in juristischen Berufen Frauen unterrepräsentiert?
Auf der Einstiegsebene sind Frauen sogar überrepräsentiert, aber keinesfalls mehr in den Aufstiegsebenen. Dass sich da etwas verändert, müsste sich zum Beispiel die Kinderbetreuung verbessern. Aber ich habe auch das Gefühl, dass vielen jungen Frauen die weiblichen Vorbilder und das Selbstbewusstsein fehlen – da müsste man viel früher ansetzen. Wenn ich in die Schulbücher meiner Tochter blicke, welches Frauenbild da vermittelt wird, kann ich das kaum glauben. 2021 steht da immer noch, dass beim Basteln doch die Mama helfen könnte, der Papa wird nicht erwähnt.
Viele Behörden hängen mit der Digitalisierung noch hinterher, Homeoffice ist in vielen Ämtern nur schwer möglich. Wie hat sich Ihr Berufsalltag in Zeiten der Pandemie verändert?
Mein Berufsalltag hat sich komplett verändert. Ich bin normalerweise viel unterwegs bei Tagungen und Besprechungen, die sind natürlich alle weggefallen. Wir haben schon früh mit elektronischen Akten gearbeitet und konnten so fast alle ins Homeoffice. Ich habe aber gemerkt, dass das Führen von Mitarbeiter*innen auf Distanz wirklich schwierig ist, obwohl wir ein kleines Amt mit wenigen Mitarbeiter*innen sind. Uns fehlen auch die informellen Gespräche in den Kaffeepausen, der Teamspirit fällt uns schwer. Trotzdem lassen sich zum Glück auch ganz viele Dinge digital lösen.
Sie haben auch schon an einigen Marathonläufen teilgenommen. Gibt es einen, der Ihnen immer in Erinnerung bleiben wird?
Berlin war der erste und ich werde immer eine Verbindung zu dieser Stadt haben, weil es die Stadt meines Mannes ist und mein erster Sohn dort geboren ist. Und dann natürlich der Marathon in New York. Wenn man nur einen in seinem Leben laufen sollte, dann diesen!
Wo liegt Ihre Bestzeit?
Meine Bestzeit bei einem Marathon liegt bei 3:31 Stunden. Das ist dann ein Pace von ungefähr 5. Aber man läuft ja nicht immer so schnell – beim Trainieren ist es auch mal eine langsamere Runde.
Solche Großveranstaltungen können in der Pandemie nicht stattfinden – aber Sport machen geht ja trotzdem, manchmal sogar mit ganz kreativen Ideen, oder?
Eigentlich war ich 2020 für den Boston-Marathon angemeldet, das hat mir eigentlich sehr viel bedeutet, denn da muss man sich mit einer bestimmten Zeit erst qualifizieren. Weil der Marathon ausgefallen ist, bin ich dann 13,5 Mal um Nördlingen gelaufen und wurde auf der Strecke von lieben Freunden und Bekannten unterstützt und begleitet. Statt Boston also 13,5 Mal um Nördlingen herum ...
Gibt es ein Buch, einen Film, eine Serie oder einen Podcast, den Sie empfehlen können?
Ich lese gerade die Autobiografie von Kathrin Switzer, der ersten Frau beim Boston-Marathon, das kann ich empfehlen. Außerdem höre ich gerne Podcasts, auch beim Laufen, „Zeit Verbrechen“ zum Beispiel.
Haben Sie einen Lieblingsort in der Region Donau-Ries?
Ich bin gern rund um Alerheim unterwegs. Wo es grün ist und die Störche zu sehen sind. Das sind Kindheitserinnerungen für mich. In Nördlingen ist es der „Daniel“, aber weil ich Höhenangst habe, lieber von unten. Egal aus welcher Richtung man wieder nach Hause nach Nördlingen kommt, das erste, was man erblickt, ist der „Daniel“ – er hat einfach eine Symbolkraft.
Ihr Bruder ist Christoph Schmid, der SPD-Bürgermeister von Alerheim. Sie saßen als Vertreterin der CSU bereits im Nördlinger Stadtrat. Wie ist es, als „Schwarze“ einen „Roten“ in der Familie zu haben?
Es ist super! Wir lieben uns sehr und teilen die gleichen Werte. Bei vielen Dinge liegen wir gar nicht so weit auseinander. Und ich bewundere meinen Bruder sehr, für das was er erreicht hat und macht.