Welch unfassbares Leid Eltern ereilt, deren Kinder sterben, ist für Außenstehende kaum vorstellbar. Besonders tragisch ist es, wenn Kinder kurz nach der Geburt versterben oder gar leblos geboren werden. Als Anna-Maria und Bernd Böswalds Zwillingsfrühchen wenige Stunden nach der Geburt für immer einschlafen, nimmt das Leben der Familie plötzlich eine schicksalhafte Wendung. Die Schwangerschaft sei nicht einfach gewesen, erzählt die Tapfheimerin, doch dass es so kommt, wie es gekommen ist, habe sich das Paar nicht ausmalen mögen. Die Wochen und Monate nach dem Tod der beiden Jungen im Mai 2016 waren leidvoll und von unwahrscheinlicher Trauer geprägt. Nichts ist mehr so, wie es vorher einmal war.
Besonders belastend ist für die Böswalds auch, dass es nur wenige Menschen gab, die sie in dieser schwierigen Zeit auffingen. „Es gab Menschen, die haben die Straßenseite gewechselt“, erinnert sich Anna-Maria Böswald. Dass viele Leute nicht wissen, wie man als Außenstehender mit ihrem Schicksal umgehen soll, kann die Mutter nachvollziehen, doch dass Fehlgeburten, Totgeburten oder Kinder, die kurz nach der Geburt versterben, sogenannte Sternenkinder, immer noch ein gesellschaftliches Tabuthema sind, nicht. Floskeln wie „Ihr seid noch jung“, „Probiert es gleich nochmal“ oder ähnliche, können die Eltern zutiefst verletzen. Sie selbst wusste damals nicht, an wen sie sich wenden könnte. Hat man Anspruch auf Mutterschutz? Kann man sich trotzdem von einer Hebamme betreuen lassen? Welche Möglichkeiten hat man, um sich von den Kindern zu verabschieden? Wie werden Sternenkinder bestattet? Noch vor einigen Jahren gab es keine Möglichkeit Sternenkinder würdevoll zu beerdigen. Überhaupt gibt es in Bayern erst seit 2005 eine Bestattungspflicht für alle Sternenkinder. Unter einem Gewicht von 500 Gramm ist die Klinik verpflichtet für eine Bestattung zu sorgen, die Eltern dürfen die Bestattung aber auch selbst organisieren und einen Bestatter wählen. Kommt ein Kind mit über 500 Gramm tot zur Welt oder lebt es zum Zeitpunkt der Geburt noch, gilt das allgemeingültige Bestattungsrecht. Für Anna-Maria Böswald und ihren Mann ist es bis heute noch besonders schlimm zu wissen, dass ihre Kinder nackt beerdigt wurden – obwohl Eltern eigentlich entscheiden dürfen, ob und was den verstorbenen Kindern angezogen wird, wie lange man sich im Krankenhaus verabschieden möchte und ob Fotos oder andere Erinnerungsstücke gemacht werden.
Nun, vier Jahre nach dem Tod der beiden Neugeborenen, möchte Anna-Maria Böswald für andere Eltern da sein, die gerade die gleichen schweren Stunden erleben wie sie damals. Zusammen mit weiteren betroffenen Eltern, aber auch Menschen, die zwar nicht selbst betroffen sind, aber trotzdem Hilfestellung geben möchten, hat Böswald im Juli 2020 den Verein Sterneneltern Schwaben e.V. gegründet. Der Verein will betroffene Eltern und Familien begleiten, auffangen, Fragen beantworten und Möglichkeiten aufzeigen.
Akutbegleitung für betroffene Familien
In den vergangenen Monaten haben Anna-Maria Böswald und andere Helfer Kontakt zu einigen schwäbischen Krankenhäusern und Kliniken aufgenommen, um dort ab der Diagnose, dass das Herz eines Kindes aufgehört hat zu schlagen, Akutbegleitungen anbieten zu können. Auf der Homepage des Vereins wird außerdem ein Online-Formular angeboten, mit dem sich Eltern und Angehörige in einer Akutsituation schnell und unkompliziert an die ehrenamtlichen Helfer wenden können. Anna-Maria Böswald und ihr Team beraten und unterstützen dann die Eltern in dieser besonders schwierigen Situation. Egal wie klein oder groß die Sternenkinder sind, ein kooperierender Verein kann Kleidung oder kleine Schlafsäckchen für die Sternenkinder zur Verfügung stellen. Die Sterneneltern Schwaben organisieren außerdem auf Wunsch einen Sternenkindfotografen oder fertigen 3D-Abdrücke von den Händchen und Füßchen der Kinder an. Außerdem gestaltet der Verein personalisierte Ultraschallbilder, denn auch in den frühen Schwangerschaftswochen – wenn Abdrücke des Kindes noch nicht möglich sind – soll das Schaffen von Erinnerungen ermöglicht werden. In regelmäßigen Gesprächsrunden für Elternpaare, Mütter, Väter oder Angehörige können sich Betroffene austauschen und über ihr Schicksal sprechen.
Erinnerungswald für Sternenkinder
Besonders wichtig, neben der direkten Unterstützung der betroffenen Eltern, ist Anna-Maria Böswald, der Tabuisierung des Themas entgegenzuwirken. Sie kämpft für die gesellschaftliche Anerkennung verstorbener Kinder und möchte ein Umdenken bei den Menschen erreichen. Schließlich gibt es Mütter und Väter, die schon vor vielen Jahrzehnten ein Kind verloren haben, ihr Leben lang nicht über ihr Schicksal sprachen und sich nie von ihrem Kind verabschieden konnten. Egal ob ihr Schicksalsschlag schon mehrere Jahre oder Jahrzehnte zurückliegt, oder erst vor kurzem über die Familie hereinbrach – im neuen Erinnerungswald sollen alle Sterneneltern einen Ort der Trauer finden. In Kooperation mit dem Landkreis Donau-Ries entsteht auf einer Wiese zwischen Rudelstetten und Wemding ein Wäldchen, um einen Erinnerungsplatz für Sternenkinder zu schaffen. Eltern oder andere Angehörige können hier gegen einen Betrag von etwa 100 Euro einen Apfel- oder Birnbaum pflanzen und das Bäumchen mit einem individuell gestalteten Schild mit Namen und Geburts- und Todesdatum des Kindes versehen. Die Pflege des Baumes übernimmt die Gartenkultur- und Landespflegestelle. Insgesamt stehen 143 Plätze zur Verfügung. Im November wurden die ersten 19 Bäume gepflanzt. „Wir können unsere Kinder nicht aufwachsen sehen, doch sie wachsen symbolisch in diesen Bäumen weiter. Die Bäume verbinden Himmel und Erde, tief verwurzelt in der Erde, aber ihre Schönheit entfaltet sich im Himmel“, fasst Anna-Maria-Böswald die Symbolkraft zusammen.