Schon von weitem sieht man das ehemalige Schloss Wallerstein auf dem Felsen thronend. Die idyllische Marktgemeinde am Fuße des Felsen, wo sich schon vor Jahrhunderten Fürsten niedergelassen hatten, ist historisch gesehen besonders interessant. Der Ortsführer Arthur Müller aus Wallerstein kennt nicht nur viele Daten und Fakten aus der Geschichte des Ortes, sondern hat auch zahlreiche interessante
Geschichten über den Ort auf Lager. Eigentlich führt Müller Touristen durch Wallerstein. Heute habe ich mich mit ihm verabredet und ihn gebeten, mir den Ort und seine Besonderheiten zu zeigen. Unser Rundgang durch Wallerstein beginnt am Rathaus (1) in der Weinstraße. Früher einmal wurde der Bau als Schul- und Wohnhaus genutzt. Heute hat dort die Gemeindeverwaltung und die Verwaltungsgemeinschaft Wallerstein, zu der auch Maihingen und Marktoffingen gehören, ihren Sitz. Im Nebengebäude hat die Feuerwehr ihre Räumlichkeiten. Die Marktgemeinde zählt etwa 3300 Einwohner und auch die Ortsteile Birkhausen, Ehringen und Munzingen gehören zu Wallerstein.
Wir gehen die Weinstraße hinauf. Dabei erzählt Müller, dass Wallerstein erstmals 1238 urkundlich erwähnt wurde. Auf unserem Weg die Straße entlang fallen die vielen Häuser mit Doppelwalmdächern auf – zum Beispiel das Abendantzhaus (2). Fürst Kraft-Ernst konzipierte Wallerstein als Fürstenresidenz und lies über 100 Häuser mit sogenannten Mansardendächern nach dem Vorbild von Versailles errichten. Die besondere Art der Dächer hat den Vorteil, dass es im Dachgeschoss keine Dachschrägen bis zum Boden gibt und man auch unter dem Dach gut
Unser Weg führt über die Obere Bergstraße in Richtung Schloss (3). Arthur Müller berichtet, dass die Burg Bestandteil staufischer Hausmacht war. Um 1250 ging der Besitz der Burg an das Haus Oettingen über. Im 15. Jahrhundert baute das Adelsgeschlecht den Ort zu seiner Residenz aus und gab ihm den heutigen Namen „Wallerstein“. Im Jahr 1500 verlieh Kaiser Maximilan I. dem Ort das Marktrecht. 1648, in der letzten Woche des 30-Jährigen-Krieges, zerstörten die Schweden die Burg und die Herrscherfamilie errichtete unterhalb des Wohntraktes eine neue Residenz, die ihre heutige klassizistische Gestalt 1804 erhielt. Von der ehemaligen Burg sei heute nur noch etwa ein Drittel erhalten und ein Bild, wie sie früher ausgesehen hat, gäbe es heute nicht mehr, so Müller.
Wir gehen über eine Brücke und laufen durch das große Eingangstor des Alten Schlosses. Wenn man das Areal der Fürst Wallerstein Brauerei überquert, kommt man zu einem weißen Holztor. Wer hindurch geht, gelangt zum Wallersteiner Felsen (4). Der Felsen gehört zum inneren Rieskraterring und überragt die Riesebene um etwa 70 Meter. Über viele Treppenstufen und einen schmalen Pfad steigen wir den Felsen hinauf. Oben angekommen, eröffnet sich uns ein wunderbarer Ausblick auf Wallerstein und das ganze Ries. Man sieht von dort oben Nördlingen mit dem Daniel, den Ipf, die Simultankirche in Ehingen und die vielen Dörfer und Orte im Ries. „Von hier kann man 93 Kirchtürme sehen, zählen Sie doch mal“, ruft mir Müller zu. Das macht nicht nur mich neugierig, sondern weckt auch das Interesse zweier Ausflügler aus Baden-Württemberg. Der Ortsführer beginnt zu erzählen, dass Wallerstein früher einmal Steinheim hieß. Fast zu jedem Wallersteiner Gebäude, welches man vom Felsen aus sieht, kann Arthur Müller eine Geschichte erzählen. Interessant ist auch, dass früher alle gelben Gebäude im Ort der Fürstenfamilie gehörten. Was auch erstaunt: zur Wallersteiner Schlossanlage gehört auch eine Fürstliche Hofreitschule, die nach dem Vorbild der Wiener Hofreitschule in den Jahren 1741–51 in den weiten Anlagen des Fürstlichen Schlossparks errichtet wurde.
Arthur Müller und ich verabschieden uns von den beiden Touristen und steigen den Felsen wieder hinab. Wir verlassen die Schlossanlage und laufen in nördlicher Richtung in die Sperlingstraße (5). Besonders hier fallen wieder die vielen Mansardendächer auf. Nacheinander reihen sich kleine Walmdachhäuschen auf. Sie wurden etwa Ende des 18. Jahrhunderts gebaut und gehörten zum Fürstlichen Haus. Beamte haben mit ihren Familien in diesen Häusern gelebt – heute sind die Häuser in Privatbesitz und werden ebenfalls als Wohnhäuser genutzt.
Von der Sperlingstraße biegen wir in die Herrenstraße ab und stehen direkt vor der Maria-Ward-Realschule (6). Das ehemalige Kloster wurde 1761 von Graf Philipp Karl von Oettingen-Wallerstein gegründet und 1803 im Zuge der Säkularisation aufgelöst. Viele Jahre später ließ sich der von Mary Ward gegründete Orden der „Englischen Fräulein“ nieder. Diese eröffneten dort eine höhere Schule für Mädchen. Im Dritten Reich mussten die Klosterfrauen ihre Verantwortung für Bildung und Erziehung abgeben. Nach dem Zweiten Weltkrieg eröffneten die Maria-Ward-Schwestern erneut eine Mädchenschule. Von den 60er Jahren bis heute ist die Schule eine Mädchenrealschule des Schulwerks der Diözese Augsburg. Die letzten sechs Schwestern verließen 2008 das Kloster.
Direkt neben der Realschule schließt sich das prachtvolle Neue Schloss (7) an. Seit dem 17. Jahrhundert ist das Schloss der Regierungssitz des Fürstentums Oettingen-Wallerstein. Heute ist das Schloss privater Familiensitz des Fürstenhauses und deswegen nicht zu besichtigen. Auch der weitläufige Schlosspark ist mittlerweile nicht mehr für die Öffentlichkeit zugänglich. Arthur Müller erzählt mir, dass sich am Westende des Parks das sogenannte Moritzschlösschen befindet. Viele Jahre war dies der Wohnsitz der verwitweten Fürstin Wilhelmine.
Vom Schloss aus laufen wir die Herrenstraße hinab in die Hauptstraße. Dort stehen wir direkt vor einer Sehenswürdigkeit, die man neben Felsen und Schloss schnell mit Wallerstein in Verbindung bringt. Die Pestsäule (8) ist das Wahrzeichen Wallersteins in der Ortsmitte. Als die Pest 1679 Tausenden von Menschen das Leben kostete, war es Graf Anton Karl, der die Dreifaltigkeitssäule errichten ließ, um Gott im Namen des Volkes um Barmherzigkeit und Verschonung zu bitten.
Von der Säule aus laufen wir die Hauptstraße ein Stück entlang in östliche Richtung und biegen links in die Mittelstraße ein. Von dort gehen wir leicht bergauf bis zu einem Grünstreifen, der den rechten und den linken Fahrstreifen voneinander trennt. Am unteren Ende der kleinen Grünanlage wurde ein Denkmal für William Berczy (9) errichtet. Berczy wurde als Johann Albrecht Ulrich Moll 1744 in Wallerstein geboren und wechselte im Laufe seines Lebens Text: Mara Kutzner, Redakteurin, die schöne Aussicht von dem Felsen aus genossen. öfter seinen Namen. Er erlangte einen internationalen Ruf als Maler, Architekt, Städteplaner und Straßenbauer. Ende des 18. Jahrhunderts siedelte Berczy mit 220 Deutschen von Hamburg über die USA nach Kanada über. Dort gründete er die Stadt Markham in Ontario, welche mittlerweile Partnerstadt von Nördlingen ist. Berczy war auch Mitbegründer der Stadt York, die später in Toronto umbenannt wurde.
Vom Denkmal aus laufen wir über die Paradiesgasse und die Felsenstaße wieder zurück in die Weinstraße und kommen schließlich wieder am Rathaus an. Arthur Müller verabschiedet sich und ich bedanke mich für die wirklich interessante und spannende Tour durch die Marktgemeinde.