Frauenhaus Nordschwaben

Zufluchtsort ohne Geheimnisse

Symbolbild. Bild: pexels
Als zweite Einrichtung in ganz Bayern wird das Frauenhaus Nordschwaben zu einem „Haus mit bekannter Adresse“. 2024 startet das neue Konzept in Nördlingen.

117-mal musste das Frauenhaus Nordschwaben im vergangenen Jahr wegen mangelnder Plätze betroffene Frauen an andere Häuser oder an die Polizei verweisen. Das Haus bietet momentan Platz für fünf Frauen und ihre Kinder. 2022 fanden 18 Frauen und 19 Kinder Zuflucht im Frauenhaus Nordschwaben. Mehr als die Hälfte der Frauen bleibt drei bis sechs Monate im Haus. Weil Frauen die einen Neuanfang wagen keinen bezahlbaren Wohnraum finden, sind Neuaufnahmen oft nicht möglich. Dabei werden die Plätze so dringend benötigt. Laut Kriminalstatistik 2021 wurde in ganz Deutschland fast jeden dritten Tag eine Frau getötet. Jede Stunde erleiden durchschnittlich 13 Frauen Gewalt in der Partnerschaft und jede dritte Frau in Deutschland ist von einer Gewalttat, einem sexuellen Übergriff und/oder Vergewaltigung betroffen. Erschreckend sind auch die Ergebnisse einer Umfrage aus diesem Jahr von Plan International. Diese hat ergeben, dass es jeder dritte junge Mann im Alter zwischen 18 und 35 „akzeptabel“ findet, wenn ihnen im Streit mit der Partnerin mal „die Hand ausrutscht“.

Hilfe zur Selbsthilfe

Das Frauenhaus Nordschwaben gibt es seit 1994. Bis heute haben rund 1 000 Frauen und ihre Kinder im Frauenhaus Nordschwaben Zuflucht gefunden und Schutz, Hilfe und Beratung erfahren. Ehrenamtlich kümmern sich sieben Frauen in der Vereinsvorstandschaft um das Frauenhaus, zudem leisten zwölf ehrenamtliche Frauen außerhalb der allgemeinen Beratungszeiten an Sonn- und Feiertagen sowie nachts einen Telefonnotdienst. „Hier könnten wir noch Verstärkung durch mehr Ehrenamtliche gebrauchen“, sagt Ursula Kneißl-Eder, Gründungsmitglied und stellvertretende Vorsitzende. Der Verein beschäftigt außerdem sechs festangestellte Mitarbeiterinnen. „Wir leisten Hilfe zur Selbsthilfe“, sagt Geschäftsleiterin Jessica König-Storr. Sie und ihre Kolleginnen sind Diplom Sozialpädagoginnen und Erzieherinnen. Im Haus helfen sie den Frauen bei der Job- und Wohnungssuche, bei Behördengängen, dem Kontakt mit Ämtern und Alltagssituationen. „Manche können keine Waschmaschine bedienen, weil sie von ihren Männern so klein gehalten wurden“, berichtet König-Storr.

Frauenhaus Nordschwaben wird zum Haus mit bekannter Adresse

Das jetzige Objekt kann aufgrund Renovierungsstau und Brandschutzauflagen nicht mehr sinnvoll genutzt werden. Die Isolierung fehle, die Heizkosten sind immens, erläutert die Vereinsvorsitzende Maja Pauer. Außerdem ein Problem: Im jetzigen Haus leben weitere Mieter, die Sicherheitsanforderungen können nicht umfassend erfüllt werden. Ein Umzug ist längst überfällig!

Als zweites Frauenhaus in ganz Bayern will das Frauenhaus Nordschwaben nun einen völlig neuen Weg einschlagen. Im Januar 2024 bezieht der Verein ein Gebäude in Nördlingen und um die Adresse des Hauses soll nicht länger ein Geheimnis gemacht werden. Das Frauenhaus soll ein „Haus mit bekannter Adresse“ werden. Die Einrichtung wird aber weder ein öffentliches Haus, noch wird die Adresse im Internet veröffentlicht. Die Frauen und die Kinder können aber die Adresse als Postanschrift verwenden, Kinder dürfen ihren Freunden erzählen, wo sie nach der Schule hingehen.

Schutz und Sicherheit in einer öffentlich bekannten Einrichtung

Die Vorstandschaft v.l.n.r: Ursula Kneißl-Eder, Traudi Kappeler, Heidemarie Altstetter, Karin Mener, Julia Frey und Maja Pauer. Nicht auf dem Bild: Evelin Peeters-Dehlau. Bild: Mara Kutzner

Wie lassen sich Schutz und Sicherheit mit einer öffentlich bekannten Einrichtung vereinbaren? Maja Pauer erklärt die Planungen für das neue Mietobjekt: Der Eingang und das Grundstück werden videoüberwacht und der Zugang geschieht über eine Eingangsschleuse mit zwei gesicherten Türen. Die Fenster im Erdgeschoss werden ebenfalls gesichert und ein Sichtschutzzaun in Höhe von zwei Metern bietet ebenfalls Sicherheit. Der Wohnbereich der Frauen und Kinder ist im 1. Obergeschoss sowie im Dachgeschoss. Beide Geschosse werden ebenfalls durch Türen gesichert. Im Erdgeschoss befinden sich die Büros der Mitarbeiter*innen. Außerdem steht der Verein bereits jetzt in enger Kooperation mit der Polizei – auch hier stieß das neue Konzept auf positive Resonanz.

Gewaltproblematik soll enttabuisiert werden

Der Vorstand sowie die Mitglieder stehen hinter dem neuen Konzept, denn man möchte durch die Sichtbarkeit helfen, Frauen und Kinder vor Gewalt zu schützen. „Ein bekannter Standort wirkt positiv auf das Selbstbewusstsein und die Eigenverantwortung der Frauen“, so Pauer. Durch die bekannte Adresse soll die Gewaltproblematik enttabuisiert werden und in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen werden. Die Frauen sollen in der Mitte der Gesellschaft ankommen und nicht als Außenseiter gebrandmarkt dastehen.

Spendenkonto

„Projekt Frauenhaus – Hilfe bei Gewalt an Frauen und Kinder e.V.“
IBAN: DE82 7206 9329 0000 1190 75
BIC: GENODEF1NOE
Raiffeisen-Volksbank Ries eG