Nördlinger Hütte

Hochkommen, um runterzukommen

Die Nördlinger Hütte. Bild: Mara Kutzner
Wer zur Nördlinger Hütte aufsteigt, findet Einfachheit, verbindet sich mit der Natur und erkennt die Schönheit der Berge. Das Domizil der Nördlinger Alpenvereinssektion ist über 125 Jahre alt und soll nun für die Zukunft gerüstet werden. Auf 2 238 Metern läuft vieles anders als gewohnt!

Sie ist sozusagen Nördlingens „höchstgelegener Außenposten“ und liegt 239 Kilometer entfernt vom Ries, hoch oben am Rand des Karwendelgebirges. Von Reith bei Seefeld in Tirol läuft man rund drei Stunden hinauf und hat 6,5 Kilometer und 1 130 Höhenmeter zu bewältigen, bis man schließlich die Nördlinger Hütte unterhalb der Reither Spitze erreicht. Belohnt wird man mit einem traumhaften Ausblick ins Karwendel.

Hüttenwirt Tobias Müller begrüßt die erschöpften Wanderer auf der idyllischen Sonnenterrasse. Eigentlich kommt er aus dem Allgäu, ist gelernter Koch und hat in mehreren Sternerestaurants gearbeitet. Doch irgendwann ist ihm der ganze „Schnickschnack“ zu viel geworden und er hat sich für das Leben und Arbeiten am Berg entschieden. Seit 2017 ist er auf „seiner“ Hütte.

(Um-)Bau unter erschwerten Bedingungen

Die Nördlinger Hütte ist eine einfache Schutzhütte des Deutschen Alpenvereins (DAV). Geschlafen wird in einem von 56 Betten in Mehrbettzimmern und Matratzenlagern, für die Katzenwäsche muss das eiskalte Wasser am Waschbecken genügen, Strom und Wasser sollen ohnehin gespart werden. Erst seit 2021 verfügt die Hütte über eine Ver- und Entsorgungsleitung ins Tal – gebaut wurde unter erschwerten Bedingungen während der Coronapandemie. Bagger hatten Mühe, im steilen und felsigen Gelände die Bereiche für Rohre und Kabel freizulegen. Das Baumaterial wurde mit dem Helikopter angeflogen. Doch das war nichts im Vergleich zum Hüttenbau 1898! Otto und Robert Rehlen gründeten vier Jahre zuvor die Nördlinger Sektion. Das Reisen in die Berge war damals nur wenigen wohlhabenden Bürgern vorbehalten und schon bald hatten einige Nördlinger den einmaligen Aussichtsbalkon der Reither Spitze für sich entdeckt und dort eine kleine Unterkunft errichtet. Baumaterialien mussten damals mit Mulis befördert werden und sperrige Güter haben die Arbeiter auf ihren Schultern getragen.

In den 70er-Jahren wich die Hütte einem Neubau und eine Materialseilbahn brachte große Erleichterung. Sie transportiert seitdem fast alles, was für die Hüttenversorgung benötigt wird.

Die Nördlinger Hütte. Bild: Mara Kutzner

Die Sektion steht vor einem Mammutprojekt

2023 feierte die DAV-Sektion Nördlingen das 125-jährige Jubiläum ihrer Hütte. Im Jubiläumsjahr gründete die Sektion eine Projektgruppe, die nun eine umfangreiche Hüttensanierung auf den Weg bringt. Seit den 70er-Jahren gab es keine größeren baulichen Veränderungen mehr, Ansprüche und Gästeaufkommen werden aber immer höher. Der „Wellnessbereich“, wie ihn Hüttenwirt Tobias Müller nennt, ist in die Jahre gekommen und viel zu klein. Auch die Anforderungen des Brandschutzes werden immer größer und die Mitarbeiter*innen leben auf begrenztem Raum. Eine Sanierung und Vergrößerung ist unausweichlich!

Mit dem Umbau steht die Sektion vor einem Großprojekt: Koordination von Auftragsvergaben, viel Arbeit auf ehrenamtlichen Schultern, ein großer finanzieller Aufwand und erneut ein logistischer Kraftakt, um Baumaterialien und Handwerker auf 2 238 Meter Höhe zu bekommen. Zumal das Zeitfenster für Baumaßnahmen sehr begrenzt ist – mit erstem Schneefall ist schon früh im Herbst zu  rechnen. 

Fest steht, dass die Nördlinger Hütte trotz notwendiger Modernisierung eine bescheidene Unterkunft bleiben soll. Die Anzahl der Schlafplätze bleibt in etwa gleich, erklärt Sabine Flügel, Vorsitzende der Sektion. Der urige Charakter und die einfache Ausstattung sollen bleiben. Schließlich sind es die Genügsamkeit und der Rückzug in die Natur, was die Bergwanderer auf über 2 000 Meter lockt.

Ein Hauch Himalaja

Der Ausblick von der Nördlinger Hütte. Bild: Mara Kutzner

Hüttenwirt Müller sagt, hier oben könne man sich „aufs Wesentliche konzentrieren“. Als begeisterter Koch möchte er seinen Gästen trotz eingeschränkter Voraussetzungen „die höchste Gastlichkeit im Karwendel“ anbieten und kulinarisch begeistern. Abendessen gibt es für die Übernachtungsgäste um Punkt 18:00 Uhr. Dann wird es so richtig gemütlich in der Gaststube, wo unzählige Motive und Mitbringsel aus Nördlingen an den Wänden hängen. Die Partnersektionen wurden mit dem „Dillinger Eck“ und der „Donauwörther Stube“ bedacht. In den Fenstern leuchten außerdem bunte Gebetsfahnen aus Nepal. Aufgehängt haben sie Phurba und Sona, ein nepalesisches Ehepaar. Sie kommen aus der Mount-Everest- Region und haben dort selbst zwei Berghütten. Schon seit mehreren Jahren verbringen sie die Bergsommer auf der Nördlinger Hütte. Ein Projekt aus Tirol macht dies möglich. Sherpas arbeiten auf österreichischen Hütten und lernen, worauf es beim Tourismus ankommt, um Lodges in ihrer Heimat zu betreiben. "Wir sind eine Tiroler Hütte, mit Rieser Wurzeln und nepalesischem Einschlag", fasst es Hüttenwürt Tobias Müller zusammen. 

Das macht sich auf der Speisekarte bemerkbar: Die Übernachtungsgäste können heute nach Suppe und Salat zwischen einer Lasagne, Kaspressknödeln und einem nepalesischem Linseneintopf mit Koriander wählen. Als Nachtisch gibt es den obligatorischen Kaiserschmarrn. Nach dem stärkenden Abendessen begrüßt Müller die Bergwanderer auf seiner Hütte: Die Gruppe aus München, die den Karwendel Höhenweg geht, Touristen aus Kanada und natürlich Bergwanderer aus Nördlingen und dem Ries, die ihm einen Besuch abstatten. Die vielen Begegnungen mit den Gästen sind es auch, was Müller so sehr an seinem besonderen Job schätzt.

Hüttenwirt mit Leib und Seele

Lange sind die Abende auf der Hütte nicht, um 22:00 Uhr ist Nachtruhe. Die Wanderer sind müde und wollen am nächsten Morgen gewöhnlich früh starten. Die einen steigen ins Tal ab, die anderen machen sich auf zur nächsten Tagesetappe, zum Beispiel zur Nachbarhütte, dem Solsteinhaus.

Wenn sich am Morgen nach dem Frühstück die Hütte allmählich leert, haben Müller und seine fünf Mitarbeiter*innen endlich Zeit, sich beim Teamfrühstück zu besprechen. „Wir leben hier zusammen wie in einer Familie“, erzählt der Hüttenwirt. Die Belegschaft teilt sich ein Badezimmer, isst zusammen, arbeitet zusammen. „Das ist nicht für jeden was“, gibt Tobias Müller zu. Für ihn ist es eine Herzensangelegenheit, gar eine Berufung.

Nach dem Frühstück gelingt es ihm und seinem Team dann auch selbst, kurz die Ruhe und die Natur am Berg zu genießen, bevor die Badezimmer geputzt und die Betten hergerichtet werden müssen. Schon im Laufe des Vormittags treffen wieder die ersten Tagesgäste ein und bestellen selbstgemachten Apfelstrudel oder kühles Bergsteigerwasser. Der Hüttenalltag beginnt von neuem.