Spaziergang durch... Nördlingen

Spaziergang auf der Nördlinger Stadtmauer Bild: DRA
Für jedes blättle machen wir einen Spaziergang durch eine unserer Städte oder Gemeinden im Landkreis. Heute lest ihr hier einen Auszug aus dem Spaziergang durch Nördlingen, genauer gesagt, einem Spaziergang auf der Nördlinger Stadtmauer. Heute ist Kulturnacht in Nördlingen, vielleicht hat der eine oder andere ja Lust, die Stadt auf der Mauer einmal komplett zu umrunden.
Auf der Stadtmauer einmal rund um die Altstadt
Mein Rundgang ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Rundgang, denn ich bin auf der berühmten und schönen Stadtmauer unterwegs, einmal rund um die Altstadt. Als Begleiterin habe ich Heidi Källner gewinnen können, die mir auf unserem Spaziergang allerlei Interessantes erzählt. Heidi Källner ist vor allem den Nördlingern bekannt, denn auf myheimat schreibt sie seit 2009 über ihre Stadt. Außerdem ist sie immer mit dem Fotoapparat unterwegs, um Bilder von der Stadt, der umliegenden Landschaft und vor allem auch von den Störchen zu machen und zu veröffentlichen. „Meine Kamera habe ich immer dabei, denn mir könnte sonst ein tolles Motiv entgehen. Ohne sie fühle ich mich nicht richtig angezogen“, lacht Heidi Källner.
Wir haben uns am Löpsinger Tor verabredet, in dessen 1379 fertiggestellten Turm sich das Nördlinger Stadtmauermuseum befindet. Hier erfahren Besucher alles zur Geschichte der Stadtmauer, können ein Modell der Mauer anschauen sowie Uniformen und eine umfassende Zinnsoldaten-Sammlung bewundern. Das Museum wurde 1987 als Wehrkundemuseum eröffnet. Die Nördlinger Stadtmauer ist Deutschlands einzige erhaltene Verteidigungsanlage mit voll begehbarem Wehrgang. Die Gesamtlänge der Mauer beträgt 2.632 Meter, genauso lang ist somit auch unser Spaziergang.
Gegen den Uhrzeigersinn rund um die Altstadt
Über eine Treppe steigen wir zunächst hoch zum mit Ziegeln überdachten Wehrgang. Wir entscheiden uns für den Rundgang entgegen des Uhrzeigers und spazieren in Richtung Baldinger Tor. Insgesamt verfügt die Stadtmauer über fünf Tore und zahlreiche Türme. Zu unserer Linken haben wir einen tollen und sich ständig wandelnden Blick auf die historische Innenstadt Nördlingens mit dem Daniel im Zentrum. Zu unserer Rechten können wir alle paar Schritte durch größere und kleinere Fensteröffnungen und Schießscharten in den Mauergraben schauen.
Den Daniel immer im Blick
Während wir spazieren, haben wir den Daniel immer im Blick. So heißt der Kirchturm der evangelischen Stadtpfarrkirche Sankt Georg. Allerdings trägt der Kirchturm diesen Namen erst seit dem 19. Jahrhundert, vorher hieß der Turm Wendelstein. Von diesem alten Namen rührt auch der Name einer ganz besonderen Turmbewohnerin, erzählt mir Heidi Källner. Auf dem Turm fühlt sich seit einigen Jahren auch eine Katzendame besonders wohl. Eigentlich gehörte sie zu einer ganzen Gruppe von Katzen eines nahen Gasthofes, doch irgendwann kam sie nur noch selten nach Hause. Viel lieber begleitete sie die Türmer des Daniels zu ihrer in 90 Meter Höhe gelegenen Türmerstube. Gerne geht sie auch auf der Außengalerie spazieren und überrascht dort erstaunte Touristen mit ihrer Anwesenheit. Die Türmer gaben ihr den Namen Miss Wendelstein.
Zum Daniel hat Heidi Källner eine besondere Beziehung und erzählt mir einiges dazu: „Ich bin eine Heimatvertriebene und ein Flüchtling aus Pommern. Nach dem Krieg flüchtete meine Mutter mit mir und meinem Bruder aus Stargard in Richtung Westen. 1950 schließlich kamen wir nach Nördlingen, hier wurde uns eine kleine Wohnung von der Baugenossenschaft zugewiesen. In Deutschland waren während des Krieges zahlreiche Kirchenglocken zu Gunsten der Waffenproduktion eingeschmolzen worden. Im Daniel hängen vier Glocken. Eine davon ist die Marienglocke der Stargarder Marienkirche, die 1952 als Leihglocke nach Nördlingen kam. Heute heißt sie Apostelglocke und klingt nur zu bestimmten Zeiten, zum Beispiel jeden Samstag zum 16.00 Uhr Feierabendläuten. So oft es geht fahre ich zu dieser Stunde mit dem Rad in die Stadt und lausche der Glocke aus meiner ehemaligen Heimat Stargard. Ich denke, es ist ein Wink des Schicksals, dass diese Glocke mir hierher nach Nördlingen gefolgt ist.“
Während Heidi Källner erzählt, sind wir langsam auf der Mauer weiterspaziert, am Wasserturm vorbei und am Großen Bleichturm. Dort läuft die Eger durch einen Durchfluss durch die Mauer in den Bleichweiher hinein. Am Spitzturm vorbei sind wir beim Baldinger Tor angelangt. Allein bis hierher haben wir schon eine Stunde gebraucht, dabei ist es erst knapp ein Viertel unseres Rundgangs. Allerdings haben wir auch ständig angehalten, um den Ausblick zu bewundern. Von der Stadtmauer aus hat man einen ganz anderen Blick auf die Stadt, zum Beispiel sieht man, dass viele der alten Häuser mit Balkonanbauten und Dachterrassen versehen sind, wo gerade im Sommer die schönsten Blumen blühen. Von oben kann man in die Gärten schauen, die sonst hinter Mauern und Toren verborgen liegen. Aber wir haben nicht nur in die Stadt geschaut, denn es lohnt auch der Blick durch die Maueröffnungen hin zum Graben. Hier gibt es öffentliche Parkflächen, aber auch private Gärten. „Immer wenn ein privates Grundstück im Graben zum Verkauf steht, hat die Stadt Nördlingen das Vorkaufsrecht. Ziel der Stadt ist es, irgendwann auch den kompletten Graben frei zugänglich zu machen“, erklärt mir Heidi Källner.
Jetzt müssen wir aber einen flotteren Gang einlegen, damit wir die Stadt komplett umrunden. Am Baldinger Tor sind von außen die Backofentürme – ehemalige Wehranlagen – an die Stadtmauer angebaut. Von den ehemals sieben Türmen stehen heute noch sechs. Wir laufen weiter zum Berger Tor. Darin befindet sich das Café Berger Thurm, zu dem auch ein kleiner Freisitz auf der Mauer und eine Minigolfanlage im Graben gehören. Heidi Källner weiß: „Geführt wird das Café von Ralf Kluge. Besonders gut gefällt mir sein Spruch auf der Speisekartentafel: Alle Gerichte sind reichlich garniert – und die Brote sind groß.“
Auf unserem weiteren Weg müssen wir kurzfristig runter von der Stadtmauer, da am Feilturm wegen Baumaßnahmen gesperrt ist. Ein Stück laufen wir außen an der Stadtmauer entlang durch die Frickhinger Anlagen. Ich frage Heidi Källner, ob die Mauer in ihrer Kindheit auch eine Rolle gespielt hat. „Wir waren bestimmt oft auf der Mauer. Vor allem wenn wir Besuch hatten, war die Stadtmauer natürlich ein Ziel. Auf den Daniel rauf hat damals schon Eintrittsgeld gekostet, die Stadtmauer ist kostenlos. In meiner Kindheit war die Stadtmauer allerdings noch nicht vollständig begehbar, man musste immer wieder runter. Eine Erinnerung habe ich an meine Jugend, da war ich vierzehn und probierte in den Frickhinger Anlagen meine erste Zigarette. Nach zwei oder drei Zügen war mir schlecht und ich musste nach Hause. Aber die Zigarette versteckte ich in einem Ritz in der Mauer, denn am nächsten Tag wollte ich sie ja wieder finden“, lacht sie.
Wir gehen am Kulturzentrum Ochsenzwinger vorbei und kommen zum Reimlinger Tor. Dort steigen wir wieder auf die Mauer hinauf und laufen weiter zum Deininger Tor. Auf dem Weg schauen wir noch in den Schneidt’schen Garten hinunter, ein kleiner öffentlicher Park mit altem Baumbestand. Vom Deininger Tor haben wir nur noch einen kurzen Weg und wir sind zurück an unserem Ausgangspunkt, dem Löpsinger Tor. Hier verabschiede ich mich von Heidi Källner.