Haftsache

Echte Handwerkskunst hinter Gittern

In Handarbeit werden die Ösen für die Schnürsenkel ins Leder gestanzt. Bild: Mara Kutzner
Weber oder Schuhmacher sind aussterbende Berufe. Schuhe und Stoffe werden heutzutage kaum mehr in Handarbeit gefertigt – meistens kommen sie aus Fernost zu uns nach Deutschland. Die Produkte von „Haftsache“ haben eine besondere Herkunft. Sie werden in den bayerischen Justizvollzugsanstalten in echter Handarbeit hergestellt. Was Häftlinge in der Weberei, in der Schuhmacherei und im Werkpädagogischen Arbeitsbetrieb herstellen, kann man im Verkaufsraum der JVA oder im Online-Shop www.haftsache.de kaufen.

Pünktlich um 6:40 Uhr beginnt der Arbeitstag in der Schuhmacherei der Justizvollzugsanstalt Kaisheim. Zurzeit sind hier 18 Gefangene beschäftigt. In Handarbeit, wie sie so wohl kaum mehr zu finden ist, werden in der Schuhmacherei Lederschuhe hergestellt, die die Strafgefangene selbst tragen. Im Jahr fertigen die Kaisheimer Häftlinge bis zu 20 000 Lederschuhe an. „Wir haben die einzige Schuhmacherei der bayerischen JVAs“, erklärt Werkdienstleiter Dieter Ludewig.

Die Schuhe, die in Kaisheim hergestellt werden, tragen alle bayerischen Häftlinge. Dazu kommen gut 6000 Filzpantoffeln und Niedertreter für den privaten Verkauf. Diese gibt es seit Jahren im kleinen Verkaufsladen der JVA. Seit über zwei Jahren werden sie auch im Online-Shop „Haftsache“ zusammen mit anderen Produkten aus den bayerischen Gefängnissen angeboten. Die Schuhmacherei ist in mehrere Arbeitsplätze aufgeteilt – jeder Gefangene hat seinen Aufgabenbereich. Es gibt sogar eine kleine Werkstatt, in der Schuhe und Lederwaren repariert werden, die Kunden zur JVA bringen. Maschinell wird kaum etwas gefertigt. Deshalb seien allerdings besonderes Geschick und gutes Augenmaß erforderlich, sagt Peter Scharff. Er ist Schuhmachermeister und leitet die Werkstatt. Beim Rundgang durch die Schuhmacherei zeigt er zum Beispiel, wie genau gearbeitet werden muss, wenn die Außenkanten der Sohlen glattgeschliffen werden.

Ein paar Arbeitsplätze weiter, zeigt ihm ein Häftling seine fertigen Exemplare. Die bunten Pantoffeln sind außen aus reiner Merino-Schafwolle, das Innenfutter ist aus weichem Webpelz – gemütlicher können Hausschuhe wohl kaum sein. Je nach Kundenwunsch werden die Hausschuhe sogar bestickt. Der Schuhmacher blickt aber noch etwas skeptisch auf die Pantoffeln, die ihm der Gefangene zeigt. Er ist erst seit kurzem in der Schuhmacherei und lernt gerade die Handgriffe an der Nähmaschine. Dass deswegen noch nicht jede Naht perfekt sitzt, ist verständlich.

Die Schuhmacherei sei ein beliebter Arbeitsplatz in der JVA, die Arbeitszeiten und die Bezahlung sind gut. Jeder Gefangene muss arbeiten – außer er ist im Rentenalter oder kann es aus gesundheitlichen Gründen nicht. Die Wartelisten in der JVA Kaisheim für Arbeitsplätze sind lang, denn es gibt trotz der vielen Betriebe, wie Bäckerei, Gärtnerei, Landwirtschaft, Kfz-Werkstatt, Schreinerei oder Druckerei nicht genügend Arbeitsstellen. Je nach Leistung, Arbeitszeiten und Qualifi zierung verdienen die Insassen zwischen 1,26 und 2 Euro pro Stunde, erklärt Wolfgang Huber, Leiter des betrieblichen Arbeitswesens. Die Bezahlung ist zwar gering, ermöglicht den Gefangenen aber zumindest Genussmittel zu kaufen, die in der
normalen Gefängnisverpflegung nicht enthalten sind. Eine Teil des Lohns kann auch Starthilfe nach der Haftentlassung sein. In der Weberei sind alte Handwebestühle im Einsatz.

Von der Schuhmacherei im ehemaligen Klostergebäude der Zisterzienser, geht es über den Innenhof der Anstalt zum Arbeitsbetriebsgebäude. In der Weberei laufen die elektrischen Webstühle auf Hochtouren und lärmen ohrenbetäubend. Die Webblätter schieben Faden um Faden zusammen, bis ein Stück Stoff entsteht. Ähnlich wie bei den Schuhmachern
arbeitet hier ein Webermeister. Zusammen mit den dort derzeit elf beschäftigten Gefangenen, werden Stoffe für die Anstaltskleidung wie Hosen, Hemden, Taschentücher sowie Bettwäsche und Handtücher für alle Gefängnisse in Bayern hergestellt. In einem Nebenraum fertigen die Gefangenen auf alten hölzernen Webstühlen dicke Teppiche aus Schaf- und Baumwolle an – und zwar nach Kundenwunsch. Im Verkaufsraum der JVA Kaisheim kann man anhand den bunten Stoffproben Farben und Muster auswählen und den Teppich nach seiner Wunschgröße in Auftrag geben. Das Besondere: Die hochwertige Wolle macht die Teppiche widerstandsfähig und langlebig, denn sie schützt sich mit ihrer Faserstruktur selbst gegen Verunreinigung.

Arbeit ist Therapie

Gut 600 Häftlinge sitzen derzeit ihre Haftstrafe in Kaisheim ab. Um die 300 Mitarbeiter sind in der JVA beschäftigt. Alle Gefangenen sind nicht zum ersten Mal im Gefängnis, denn in Kaisheim sitzen Wiederholungstäter oder Häftlinge, die aus anderen Anstalten dorthin verlegt wurden. Die Delikte reichen von Drogenhandel über Körperverletzung bis hin zu Sexualstraftaten. Auch zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilte, sind in der Kaisheimer JVA. Um nach der Haftstrafe wieder Fuß fassen zu können, ist es sinnvoll, schon während des Vollzugs einer Tätigkeit nachzugehen. Wer in welchem Betrieb arbeiten darf, hängt auch davon ab, welche Berufserfahrung man schon mitbringt. Viele Gefangene besitzen allerdings keine oder zumindest keine abgeschlossene Berufsausbildung.

Die JVA bietet deshalb etwa 60 Ausbildungsplätze in den unterschiedlichsten Ausbildungsrichtungen an. Neben einer praktischen Ausbildung in den gut 20 Betrieben der JVA, bekommen die Gefangenen auch Berufsschulunterricht durch Fachlehrer. Nicht alle Gefangene können aufgrund ihrer psychischen und gesundheitlichen Verfassung einer Tätigkeit im Gefängnis nachgehen. Beschäftigung, ein geregelter Arbeitstag und eine Aufgabe zu erfüllen sind aber gerade dann wichtiger Bestandteil der Therapie. Im sogenannten werkpädagogischen Arbeitsbetrieb können sich die Häftlinge an der Werkbank oder beim Töpfern selbst entfalten. Günther Rosenwirth leitet den Betrieb, besonderes Augenmerk legt er darauf, dass sich die Häftlinge hier an die Arbeit gewöhnen und an eine handwerkliche Tätigkeit herangeführt werden.

Für den Online-Shop fertigen die Gefangen hier zum Beispiel Vogelhäuschen, Holzspielzeug und Schaukelpferde aus Holz. „Hier gibt es natürlich Sägen, Feilen und Cuttermesser“, beschreibt Rosenwirth die Werkzeuge, die die Strafgefangenen für ihr Handwerk benötigen. Wenn es mittags zum Essen geht und am Nachmittag die Arbeitszeit beendet ist, kontrolliert er jeden Einzelnen ganz genau. Die Gefangenen werden abgetastet und mit einem Metalldetektor überprüft – denn mögliche Waffen und auch Farben und Lacke könnten hinter den Gefängnismauern gefragtes Gut sein.

In der Weberei laufen die elektrischen Webstühle auf Hochtouren und lärmen ohrenbetäubend. Die Webblätter schieben Faden um Faden zusammen, bis ein Stück Stoff entsteht. Bild: Mara Kutzner

Schaut doch mal vorbei!

Im Ladengeschäft der JVA Kaisheim werden neben Schuhen und Teppichen auch Produkte aus der Schreinerei, Schlosserei, Polsterei, Buchbinderei, Druckerei, Kunstabteilung, Malerei, Bäckerei, Landwirtschaft und Gärtnerei angeboten. Handgemachte Ledertaschen, hochwertige Möbelstücke und Wohnaccessoires, Küchenutensilien aus Edelstahl und Holz oder Gartendekorationen aus den bayerischen Gefängnissen gibt es unter: www.haftsache.de