Liebe Frau Binger, herzlichen Dank, dass Sie sich Zeit für unser Interview nehmen. Beginnen wir mit ein paar kurzen Fragen zum Einstieg.
Wie sah Ihr Tag bis jetzt aus und was steht bei Ihnen heute noch an?
Nicole Binger: Ich habe gefrühstückt und dabei schon meinen Tag geplant. Anschließend hatte ich eine Onlinekonferenz mit den Kreisbäuerinnen und Kreisobmännern Schwaben. Heute Abend habe ich noch eine Sitzung in Monheim bezüglich des Leader-Förderprogramms.
Was trinken Sie lieber, Kaffee oder Tee?
Nicole Binger: Kaffee! Mit Milch und Zucker.
Essen oder kochen Sie lieber?
Nicole Binger: Beides! (lacht) Ich genieße es sehr, wenn ich mich einfach mal an den gemachten Tisch setzen kann. Ich esse sehr gerne Mehlspeisen, aber auch ein Schnitzel oder Braten. Ich bin eine Fleischesserin, aber mit Maß und Ziel! Was ich nicht so gerne esse ist Fisch!
Sportlerin oder Couchpotato?
Nicole Binger: Weder noch! Ich mag es aber schon ganz gern, wenn ich nach einem langen Tag auf dem Sofa entspannen kann.
Strand oder Berge?
Nicole Binger: Berge!
Bäuerin – Beruf oder Berufung?
Nicole Binger: Es ist für mich eine Berufung! Wenn man den Job als Kreisbäuerin machen möchte, dann geht das nicht als Beruf. Es ist für mich eine Ehre und ich stecke viel Herzblut in die Aufgaben.
Vervollständigen Sie bitte folgenden Satz: Typisch für mich ist, ...
Nicole Binger: dass ich sehr strukturiert bin. Das ist auch meine Stärke für mein Amt. Ich bin „straight“ und ehrlich.
Wie und wo sind Sie aufgewachsen?
Nicole Binger: Ich bin in Asbach-Bäumenheim aufgewachsen und zur Grundschule gegangen. Anschließend habe ich das St. Bonaventura-Gymnasium in Dillingen besucht. Mein Traum war es immer Medizin zu studieren, aber leider kann ich kein Blut sehen.
Welchen Ausbildungsweg haben Sie nach der Schule eingeschlagen?
Nicole Binger: Nachdem sich mein „medizinischer“ Berufswunsch in Luft aufgelöst hat, absolvierte ich ebenfalls in Dillingen an der Fachakademie für Sozialpädagogik eine fünfjährige Ausbildung zur Erzieherin, meine zweite Berufswahl. Die elf Jahre in Dillingen waren für mich sehr wertvoll. Die Franziskanerinnen haben mich unheimlich in meinem katholischen Glauben geprägt. Nach der Erzieherausbildung habe ich die Teilzeitschule
für Hauswirtschaft in Wertingen besucht und dort gelernt, wie man einen landwirtschaftlichen Haushalt führt. Natürlich hätte ich gerne als Erzieherin gearbeitet, nur waren vor 25 Jahren die Berufsaussichten absolut nicht mit heute zu vergleichen. Nachdem ich auf den Hof eingeheiratet habe und wir recht schnell drei Kinder bekamen, entschied ich mich, zu Hause zu bleiben. Ich bin auch ganz ehrlich, ich hätte nicht gewusst, wie ich drei kleine Kinder, Haus, Hof und Arbeit unter einen Hut bringen sollte. 2002 übernahm mein Mann den Hof von seinen Eltern, seitdem bin ich auch die Managerin des Büros. Außerdem war es mir sehr wichtig, unsere Kinder selbst zu erziehen, ihnen unsere Werte auf ihrem Weg mitzugeben. Meinen Beruf habe ich aber keinesfalls umsonst erlernt. Ehrenamt war mir schon immer wichtig. Deshalb engagierte ich mich in verschiedener Weise ehrenamtlich, sei es in der Kirche, im Kindergarten oder in der Schule.
Seit mehr als zehn Jahren sind Sie Ortsbäuerin für Mertingen. Wie kam es dazu?
Nicole Binger: Es gab „früher“ bei den Landfrauen Mertingen das traditionelle Kaffeekränzchen am Nachmittag. Mein Schwiegervater meinte im Jahr 2006, dass ich dort mal hingehen solle, und das bin ich auch. Zurückgekommen bin ich als Beisitzerin im Vorstand. 2011 standen dann wieder Wahlen an und erst kurz zuvor hat die ehemalige Ortsbäuerin bekannt gegeben, dass sie nicht mehr kandidieren würde. Ich war zu dieser Zeit mit meinem Sohn im Krankenhaus, aber entschied mich dafür, das Amt zu übernehmen. Seitdem versuche ich neue Wege zu suchen. Sätze wie „Das war schon immer so“ stoßen mir sauer auf. Wenn man nicht bereit ist etwas zu ändern, braucht man sich nicht darüber aufregen, wenn keiner mehr zu Veranstaltungen kommt. Seit 2012 findet einmal im Jahr ein Frauenfrühstück in Mertingen statt. Rund 70 bis 80 Frauen verschiedenen Alters nehmen gerne daran teil. Na ja, viele junge Frauen gehen ihrem Beruf nach, sind am Nachmittag mit den Kindern beschäftigt, auf dem Hof in der Familie eingespannt. Da bietet sich ein Frauenfrühstück am Vormittag doch gut an! Wir müssen auch keine Vielzahl mehr an Veranstaltungen anbieten. Lieber Qualität statt Quantität.
Haben Sie sich in Ihrem neuen Posten nach rund einem Jahr gut zurechtgefunden?
Nicole Binger: Ja, ich bin angekommen als Kreisbäuerin. Nach wie vor ist es für mich eine Ehre, Kreisbäuerin im Donau-Ries sein zu dürfen.
Gemeinsam mit meiner Stellvertreterin Susanne Löfflad und meiner Kreisvorstandschaft habe ich mich vor einem Jahr auf den Weg gemacht. Und wir sind auf einem sehr guten und konstruktiven Weg. Wir sind als Team zusammengewachsen, haben schon viel zusammen gemeistert und trauen uns, neue Wege auszuprobieren.Außerdem haben wir in unserem Kreisverband in Donauwörth eine kompetente Geschäftsstelle, die voll hinter uns steht. Wir arbeiten Hand in Hand zusammen und ergänzen uns gegenseitig. Das ist für mich sehr wertvoll. Ein Anliegen ist mir die Wertschätzung unserer Arbeit in der Gesellschaft. Im Landkreis haben wir eine sehr vielseitige Landwirtschaft. Ackerbau, Tierhaltung, Energie, etc. Viele verschiedene Bereiche, die alle nach Perspektiven ringen,
weil über politische Ideologien versucht wird, in unsere bäuerlichen Strukturen einzugreifen. Ein großes, gesellschaftliches Problem dabei ist unser Wohlstand
und unsere voranschreitende „Ich-Gesellschaft“. Gespart wird oft beim Essen, bei den Lebensmitteln. Die Prioritäten liegen mittlerweile leider woanders …
Wie viele Mitglieder hat der Kreisverband und wie viele landwirtschaftliche Betriebe gibt es im Donau-Ries?
Nicole Binger: Der Bayerisches Bauernverband hat im Landkreis Donau-Ries 2476 Mitgliedsbetriebe. Dazu gehören auch fördernde Mitglieder, wie Gemeinden oder Waldbesitzer.
Die Bäuerinnen des Verbandes sind bei den Landfrauen organisiert. Warum ist der Verband zumeist zwischen Männern und Frauen getrennt?
Nicole Binger: Im Bayerischen Bauernver - band sind alle Posten gleichberechtigt mit Frauen und Männern besetzt. Das spiegelt sich von der Ortsebene bis in die Landesebene. Unser Kreisobmann Karlheinz Götz und ich arbeiten sehr gut und effizient zusammen. Wir vertreten gemeinsam die Interessen unserer landwirtschaftlichen Betriebe, unserer Bauern und Bäuerinnen.
Welche Aufgaben sind mit Ihrem Amt verbunden?
Nicole Binger: Meine Aufgabe als Kreisbäuerin ist die Repräsentation meiner Bäuerinnen und der Betriebe in der Landwirtschaft im Landkreis Donau-Ries. Wir sind die Anlaufstelle für die Ortsbäuerinnen und Mitglieder des Bayerischen Bauernverbandes. Deren Anliegen bringen wir auf Bezirk- und Landesebene ein. Kreisobmann Karlheinz Götz und ich sind die Bindeglieder und das Sprachrohr der Bäuerinnen und Bauern. Zudem bin ich seit Dezember 2022 Vorsitzende der Katholischen Dorfhelferinnen und Betriebshelfer im Landkreis Donau-Ries und setze mich für deren Belange ein.
Warum haben Sie sich dazu entschieden, als Kreisbäuerin zu kandidieren?
Nicole Binger: Wir haben in Mertingen einen aktiven Ortsverband. Ich habe Freude an der Arbeit mit Menschen. Gerne bin ich Ortsbäuerin und begleite auch schon seit 2012 schulische Projekte. Ich bin gefragt worden, ob ich mir das Amt als Kreisbäuerin vorstellen kann. Bis zu dieser Zeit habe ich nie mit diesem Gedanken gespielt! Ich habe überlegt und mich entschlossen, zu kandidieren. Ich war aber natürlich auch zwiegespalten. Meine Vorgängerin Ruth Meißler hat das Amt sehr gut begleitet. Da stellte ich mir schon die Frage, ob ich das überhaupt kann und ob ich es meiner Familie zumuten darf. Steht es mir zu, diesen Schritt zu gehen? Nachdem unsere drei Kinder erwachsen sind, wollte ich mich aber wieder stärker ins Ehrenamt einbringen. Ich habe mich getraut zu kandidieren. Für mich war es aus heutiger Sicht eine sehr gute Entscheidung. Ich habe sie gemeinsam mit meiner Familie getroffen. Nach fast einem Jahr kann ich sagen, dass das Amt der Kreisbäuerin (und des Kreisobmannes) ein „hauptamtliches Ehrenamt“ ist, das viel Zeit in Anspruch nimmt. Und das geht nur mit dem Verständnis und der Rückendeckung der Familie. Es tut mir gut, dass ich gefordert werde und mich in verschiedener Weise einbringen darf. Allerdings bekomme ich auch zu hören, ob es denn notwendig sei, dass ich mich nun selber verwirkliche. Langsam lerne ich über solchen Aussagen zu stehen und damit umzugehen. Ich hoffe, ich kann viele von meiner Freude, die ich versuche nach außen zu tragen, überzeugen!
Welche Aufgaben haben die Landfrauen, welche Werte möchten sie vermitteln?
Nicole Binger: Unsere größte und aufwendigste Veranstaltung im Jahr ist unser Landfrauentag in Harburg. Wir organisieren in der Herbst-/ Winterzeit Gebietsveranstaltungen und den Tag der Jung- und Aktivbäuerin, heuer erstmals „FRAUzeit“. Wir versuchen neue Formate zu spielen oder neue Elemente einzubauen. Tradition und Moderne miteinander verbinden. Beides ist wichtig. Seit 20 Jahren sind die Landfrauen im Donau-Ries bei „Landfrauen machen Schule“ dabei, heuer findet dieses Projekt an der Grundschule in Riedlingen statt. Die Projektwochen „Schule für’s Leben“ sind mir wichtig. Wir haben im Landkreis mit dem Startschuss 2021 bereits begonnen. Jedes Jahr gibt es bayernweit eine Gesundheitsoffensive. Heuer zum Thema „Seelische Krankheiten“. Auch uns in der Landwirtschaft betrifft dieses Thema zunehmend. Aufgrund der immer wachsenden Auflagen und der fehlenden Perspektive werden immer wieder Bäuerinnen und Bauern seelisch krank. Wir bieten dafür im Bayerischen Bauernverband verschiedene Angebote zur Unterstützung an. Werte sind in unserer Wohlstandsgesellschaft wichtiger denn je! Dafür stehen für mich Ehrlichkeit, Mut, Respekt, Solidarität, Teamgeist, Verantwortung, Wertschätzung, Demut, Dankbarkeit und unser christlicher Glaube.
In die Landwirtschaft wurden Sie nicht hineingeboren. Welche Umstellungen hat die Heirat in eine Landwirtschaft für Sie mitgebracht?
Nicole Binger: Die größte Herausforderung war für mich schon das große Haus und der Garten. Ich habe in die Landwirtschaft meines Mannes eingeheiratet und von Anfang an versucht, mich mit allem vertraut zu machen, mich einzubringen, Verständnis zu entwickeln und vor allem mir das breite Wissen anzueignen. Als junge Frau, die einheiratet, will man den Hof und das Leben natürlich mitgestalten und teilweise umgestalten. Einfach seine persönliche Note einbringen. Auch das ist wichtig, um sich wohlzufühlen. Das trägt zum Gelingen des Hoflebens bei. Mir ist es für unsere jungen Frauen generell sehr wichtig, dass sie ihren Weg, ihre Rolle auf den Höfen finden. Unsere jungen Landfrauen sind toll! Sie sind taff, aktiv, zielstrebig und interessiert. In den jüngeren Generationen findet mittlerweile auch Rollenteilung in Haus, Hof und Familie statt. Es gibt nicht nur den Betriebsleiter, sondern die Unternehmerin, die Betriebsleiterin und auch die Frau, die nicht zwingend im Betrieb mitarbeitet, weil sie ihrem erlernten Beruf nachgeht.
Welche Art von Landwirtschaft betreiben Sie?
Nicole Binger: Wir bewirtschaften einen konventionellen Ackerbau im Haupterwerb und sind spezialisiert auf Saatgutvermehrung. Im tierischen Bereich haben wir Legehennen mit Verkauf ab Hof und Pensionsrinder von April bis Oktober.
Stichwort Direktvermarktung: Ein Trend, der weiterhin stark zunimmt?
Nicole Binger: : Man kann natürlich einen regionalen Trend wahrnehmen. Es ist auch wichtig, dass die Menschen regional einkaufen – egal ob bio oder konventionell. Ich wünsche mir, dass das noch mehr zunimmt. Ich verknüpfe Regionalität auch immer mit Saisonalität. Die Aufgabe der Landfrauen ist es, diesen Ansatz in schulischen Projekten Schülerinnen und Schülern nahezubringen.
Die Inflation bremst die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln. Daher kehren manche Bauern der Öko-Landwirtschaft den Rücken und setzen wieder auf konventionelle Erzeugung. Eine nachvollziehbare Entscheidung?
Nicole Binger: Eine Vorgabe unserer Bundesregierung sind 30 Prozent Ökolandbau bis 2030. Im Landkreis sind es bis jetzt keine zehn Prozent. Ob ein Betrieb umstellt hängt natürlich von der ökologischen Einstellung, aber auch von Faktoren wie den örtlichen, technischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten ab. Vor allem sollte man sich mit Bio identifizieren können. Nur so kann es gut gelingen. Es gibt bei uns im Landkreis tolle und vorbildliche Biobetriebe! Es gibt natürlich Betriebe, die von ökologisch wieder auf konventionell zurückgehen. Das sind momentan noch nicht viele. Wenn wir 30 Prozent Ökolandbau machen sollen, dann muss der Markt und somit der Preis aber auch stabil gewährleistet sein.
In den vergangenen Jahren ist die Anzahl an Auszubildenden in den sogenannten „grünen Berufen“, wie zum Beispiel der Landwirtschaft, wieder angestiegen. Warum ist der Beruf wieder attraktiver für junge Menschen?
Nicole Binger: Als Vertreterin von Schwaben bin ich Mitglied im Landesfachausschuss für Bildung und Beratung in Bayern. In diesem Ausschuss befassen wir uns unter anderem mit der Ausbildung der Landwirtschaft. Diese Ausbildung ist hervorragend und auf hohem Niveau. Die Basis ist die Ausbildung zum/zur Landwirt*in, bei uns in Höchstädt. Danach gibt es Wege z.B. zum Wirtschafter für Landbau und Meister in Wertingen, im Anschluss die Höhere Landbauschule mit Agrarbetriebswirt in Landsberg oder Triesdorf oder den Techniker in Triesdorf. Natürlich gibt es auch verschiedene Studiengänge. Unser ältester Sohn hat sich für die klassische Betriebsleiter-Ausbildung mit Meister entschieden. Der Standort unserer Landwirtschaftsschule in Wertingen ist mir wichtig, um wohnortnah die Aus- und Fortbildung anbieten zu können. Mit der breiten und vielseitigen landwirtschaftlichen Ausbildung haben wir kompetente und naturverbundene junge Frauen und Männer auf unseren Betrieben. Leben und Arbeiten in und mit der Natur. Das ist sicherlich ein guter Grund für die Attraktivität der grünen Berufe.
Kommen wir zum Self-Rating Test schätzen sie bitte ihre Fähigkeiten von Null Punkten völlig unbegabt bis zu Zehn Punkten maximale Begabung ein.
Organisationstalent?
Nicole Binger: 10 Punkte.
Abenteurerin?
Nicole Binger: 7 Punkte.
Genießerin?
Nicole Binger: 8 Punkte.
Workaholic?
Nicole Binger: 9 Punkte.
Vielen Dank für das Interview!