Hallo Herr Heydecker, zunächst einmal vielen Dank, dass Sie sich für unser Gespräch Zeit nehmen. Vielen Leserinnen und Lesern sind Sie natürlich als Bürgermeister von Oettingen bekannt. Es gibt aber auch noch den Privatmann Thomas Heydecker. Daher beginnen wir mit einigen kurzen Fragen, um einen ersten Eindruck von Ihrer Person zu bekommen.
Verbringen Sie den Urlaub lieber daheim oder in der großen Welt?
Thomas Heydecker: Vom Naturell her die große Welt, aber mit Kindern wandelt sich die Perspektive.
Selbst kochen oder Restaurant?
T. H.: Selbst kochen.
Was kochen Sie am liebsten?
T. H.: Meine persönliche Lieblingsspeise ist Linsen mit Spätzle. Sehr gerne mache ich auch Burger. Grundsätzlich versuche ich aber, mich zumindest zu Hause vegetarisch zu ernähren. Da gibt es dann eben selbstgemachte vegetarische Patties. Ich bin da sehr experimentierfreudig.
Diese Experimentierfreudigkeit dürfte Ihnen bei der Wahl zum Bürgermeister entgegengekommen sein. Das Jahr 2020 war mit Corona sehr speziell, um neu in das Amt zu kommen.
T. H.: Auch so eine schwere Zeit wie Corona hatte seine Vorteile. Ich hatte die Zeit, mich fachlich und sachlich in Themen einzuarbeiten. Als kompletter Neuling im Bereich Kommunalpolitik war das für mich sehr hilfreich. Aber natürlich sind auch einige Sachen auf der Strecke geblieben – gerade Abendveranstaltungen und Feste, die das Amt mit ausmachen. Auch der wichtige Austausch mit der Bürgerschaft war schwierig. Natürlich vermisse ich das im Rückblick, aber ich konzentriere mich auf die Vorteile dieser Zeit.
Sie haben angesprochen, dass Sie frisch in die Kommunalpolitik kamen. Wie war der Wechsel aus der freien Wirtschaft in den öffentlichen Dienst?
T. H.: Es sind gravierende Unterschiede, das liegt in den Strukturen. Die öffentliche Hand muss Dinge länger prüfen, weil viel mehr Akteure einbezogen sind und mehr Interessen abgewogen werden müssen. Das ist in der Wirtschaft anders. Mir war nach der Kandidatur auch klar, dass ich nicht in meinem alten Job bleiben werde. Ich hatte schon vor dem Wahlergebnis gekündigt. Es musste wieder ein neuer Abschnitt kommen, da mich der Wahlkampf als Mensch verändert hat. Der neue Lebensabschnitt hätte aber nicht zwingend im öffentlichen Dienst stattfinden müssen. Am Bürgermeisteramt ist nicht der öffentliche Dienst reizvoll, sondern das Gestalten.
Wie hätte die Zukunft im Falle einer Wahlniederlage ausgesehen?
T. H.: Ich hatte damals eine Geschäftsidee in der Selbständigkeit, aber den bereits fertig ausgearbeiteten Plan als Alternative hatte ich nicht. Allerdings glaube ich fest daran: Wenn sich eine Tür schließt, geht eine andere auf. So selbstbewusst bin ich, dass ich einen passenden neuen Platz gefunden hätte. Es war aber auch eine andere Situation, da ich ohne Haus und Kinder familiär ungebundener war. Da kann man auch mal eine Zeit überbrücken. Zumal ich mich auf ein tolles Umfeld verlassen kann – sowohl familiär als auch im Freundeskreis.
Sie kommen aus Oettingen. Was bedeutet es Ihnen, Verantwortung in der Heimat zu übernehmen?
T. H.: Ich bin sehr heimatverbunden und in dieser Stadt groß geworden. Daher war Oettingen für mich schon immer eine wichtige Anlaufstelle. Egal, ob im Studium oder wenn ich in der Welt unterwegs war: Es war klar, dass ich wieder hierher zurückkommen werde. Oettingen war immer ein Anker in meinem Leben und wird das auch bleiben. Daher ist es ein großes Privileg für mich, hier in einer gestaltenden Rolle tätig zu sein.
Auch Ihr Vater war bereits als Beamter in der Verwaltungsgemeinschaft tätig. Kann man sagen, Sie sind in dessen Fußstapfen getreten?
T. H.: Lustigerweise haben mir meine Eltern schon vor der Kandidatur gesagt, dass ich das auf keinen Fall machen soll. Gerade mein Vater wusste aus eigener Erfahrung, was dieser Job auch für die Familie bedeutet. Man ist viel unterwegs, manchmal ist es auch sehr undankbar, weil man es nie allen recht machen kann. Dennoch hat mich dieses Amt gereizt, weil man die Lebensumstände der Menschen, mit denen man aufgewachsen ist, gestalten und – hoffentlich – verbessern kann.
War Ihr Vater in der Anfangszeit mit dessen Erfahrung eine Hilfe?
Und wie ist mittlerweile die Rolle der Familie?
T. H.: Sobald ich daheim bin, ist das Amt in vielen Punkten vergessen. Da halten mich meine zwei Jungs auf Trab und meine Partnerin sowie meine Familie und Freunde bringen mich auf andere Gedanken. Das erdet mich. Man könnte rund um die Uhr arbeiten, aber diese Auszeiten mit der Familie sind wichtig.
Ihre Partnerin arbeitet auch im öffentlichen Dienst. Kann man da im Privaten das Amt komplett außen vor lassen?
T. H.: Sie arbeitet als Lehrerin an der Grund- und Mittelschule in Oettingen. Als Vorsitzender des Schulverbands haben wir schon berufliche Themen und Schnittpunkte, die wir daheim besprechen. Aber es gelingt uns auch sehr gut, daheim abzuschalten und komplett Familienmensch zu sein.
Hätte sich der junge Thomas Heydecker vorstellen können, mal Bürgermeister zu sein?
T. H.: Ich denke, mein 20-jähriges Ich könnte das nicht ganz nachvollziehen. Damals wäre es mir vermutlich zu spießig gewesen, da ein Bürgermeister aufgrund seiner Vorbildfunktion sich immer sehr „korrekt“ verhalten sollte. Aber das Leben muss vorwärts gelebt und rückblickend verstanden werden. Es gibt immer wieder Punkte im Leben, an denen man sich für eine Richtung entscheiden muss.
Gibt es heute noch Momente, wo Sie aus der erwähnten Spießigkeit ausbrechen?
T. H.: Ausbrechen wäre zu viel gesagt. In Oettingen habe ich eine andere Rolle als in einem rein privaten Umfeld. Das ist auch gut so. Aber natürlich ist es schön, hin und wieder das Amt des Bürgermeisters komplett ablegen zu können.
Eine wichtige Rolle in Ihrem Leben spielen Reisen und körperliche Herausforderungen. Sie waren unter anderem auf dem Kilimandscharo und haben am Oettinger Triathlon teilgenommen. Was gibt Ihnen das?
T. H.: Sport ist eine schöne Möglichkeit, den Kopf freizukriegen. Um richtig zu funktionieren, müssen Körper und Geist im Einklang sein. Aktuell kann ich nicht mehr so viel Sport machen wie früher. Ich schaue, dass ich noch ab und zu ins Fußballtraining gehe, dass ich jogge oder Rad fahre. Das ist ein toller Ausgleich. Früher war auch der Aspekt, fremde Länder kennenzulernen, reizvoll. Da wurde mir immer wieder bewusst, welchen Luxus wir in unserem Alltag haben. Wenn man vier Wochen in Nepal unterwegs war, ist es danach der größte Luxus, wieder in einem normalen Bett zu schlafen oder auf eine normale Toilette zu gehen. Man kommt komplett aus seiner eigenen Welt heraus, wo man vielleicht in seinem Hamsterrad und eigenen Denken gefangen ist. Man hinterfragt viel. Daher hat mir das Reisen immer sehr gutgetan.
Kamen Sie da auch an Ihre Grenzen?
T. H.: Ich kann mich an einige Momente erinnern, an denen ich an meine Grenzen gekommen bin. Aber es ist auch ein Ausdruck der Lebendigkeit. Man bekommt ein Gefühl der Freiheit und Selbstwirksamkeit.
Was ist die einprägsamste Erinnerung aus dieser Zeit?
T. H.: Ich hatte zu dieser Zeit durch den Sport eine gute Kondition. Aber am Elbrus oder Kilimandscharo kam ich mit der Höhe schlecht zurecht. Ab 5 000 Metern wird es wirklich anstrengend. Da kam ich an eine körperliche Grenze, an der nichts mehr ging. Wie mir die Gruppe aber geholfen hat, über diesen Punkt zu kommen, das sind prägende Erlebnisse. Ein jüngeres Erlebnis war eine Kletterpassage vor etwas über drei Jahren mit meiner Partnerin, da habe ich die Hilfestellung gegeben. Wenn man dann auf dem Gipfel als Team steht, das ist ein unbeschreibliches Gefühl. Da passiert so viel im Kopf und es schweißt zusammen. Zugleich ist es ein Gefühl von enormer Freiheit.
Gab es auch gefährliche Situationen?
T. H.: Es gab immer wieder mal kritische Momente. Ich war mal auf einer Hochtour mit dem DAV Nördlingen in stark abschüssigem Gelände. Wir hatten einen erfahrenen Bergführer dabei, aber ich wusste auch, dass es die letzte Bergtour sein könnte, wenn ich mich nicht voll konzentriere. Da spürt man diesen Moment nochmal mehr. Es waren keine Hochrisikotouren, aber eben auch nichts Alltägliches. Das weitet den Horizont und lässt einen den Alltag bewusster erleben.
Was überwiegt bei Ihnen auf dem Gipfel? Die Freiheit oder das Überwinden einer körperlichen Grenze?
T. H.: Das Gefühl der Freiheit! Unsere Umwelt ist so ein Wunderwerk, dieses Gesamtbild hat mich schon immer gereizt.
Fehlt Ihnen das Reisen?
T. H.: Es ist eine andere Zeit. Zu Beginn meiner Amtszeit habe ich noch Bergtouren gemacht. Das ist mit Kleinkindern nicht mehr möglich. Mit meinem engen Terminkalender will ich die Zeit daheim mit der Familie verbringen. Aber die Kinder werden größer und irgendwann kann man sich diese Momente wieder holen – auch wenn man sich als Bürgermeister natürlich nicht vier Wochen rausnehmen kann. Aber alles im Leben hat seinen Preis und das Amt bringt viele tolle Möglichkeiten mit sich und dafür muss etwas anderes eben zurückstecken. Daher trauere ich dem nicht nach, ich habe zum Glück schon viel erlebt.
Eine dieser Möglichkeiten war das Erlebnis, als Host Town für die Special Olympics zu fungieren.
T. H.: Schon in der Vorbereitung auf unsere Funktion als Host Town gab es sehr schöne Aktionen. Da haben wir viel für die Inklusion in Oettingen und dem Umland getan. Der Besuch der kambodschanischen Delegation war dann etwas ganz Besonderes, weil sie so dankbar waren für das, was sie hier erleben durften. Für mich persönlich war ein Highlight, dass ich bei der Eröffnungsfeier mit den Sportlern in das vollbesetzte Berliner Olympiastadion einlaufen durfte. Solche Erlebnisse bleiben mir sicher lange über die Amtszeit hinaus in Erinnerung.
Neben dem Sport spielt auch der Kopf eine große Rolle bei Ihnen. Gerade Zitate und Wahlsprüche begegnen uns im Zusammenhang mit Ihnen immer wieder.
T. H.: Es gibt und gab so viele schlaue Menschen auf der Welt. Es ist wichtig, sich seine eigenen Gedanken zu machen. Aber die
Gedanken anderer Menschen können auch sehr inspirierend sein. In mehreren Tausend Jahren Menschheitsgeschichte hat sich ein breiter Fundus an klugen Worten angesammelt, mit denen man diese Botschaften oft besser platzieren kann. Das empfinde ich aktuell als wichtig. Ich habe das Gefühl, dass unsere Gesellschaft momentan in einem „Depri“- Modus agiert, dabei würde es oft helfen, die Perspektive etwas zu ändern. Natürlich haben wir unsere Probleme und die muss man benennen. Aber wir sind in einer Problemfixierung verhaftet, wo die vielen positiven Dinge nicht mehr gesehen werden. Da helfen klare Botschaften, um den Blick wieder darauf zu richten.
Besteht diese Leidenschaft im Amt oder auch im Privaten?
T. H.: Ich hatte in der Schule Latein-Leistungskurs und damals haben mich die großen Dichter und Denker schon fasziniert. Das kann man als langweilig empfinden, ich finde es inspirierend.
Welche Erinnerungen haben Sie heute noch an Ihre Schulzeit?
T. H.: Ich hatte in der Kollegstufe damals eine Lateinlehrerin, die damalige Schulleiterin des Albrecht-Ernst-Gymnasiums, die war ein großer Cicero-Fan und hat immer von Rhetorik geschwärmt. Als Schüler konnte ich das noch nicht ganz verstehen. Mittlerweile kann ich es aber nachempfinden. Wenn man die Herzen der Menschen erreicht, braucht man sich über die Köpfe keine Gedanken zu machen. Das braucht es in der Politik. Barack Obama ist ein gutes Beispiel dafür.
Ist das auch die Art, wie Sie das Amt angehen?
T. H.: Ich versuche es. Als Bürgermeister muss man das große Ganze im Blick haben und versuchen, die Leute abzuholen. Ich sehe es aber auch als meine Aufgabe, den Menschen andere Perspektiven aufzuzeigen und ein positives Denken zu vermitteln. Ich will mit meiner positiven Sicht auf die Welt aber auch nicht den Eindruck von Naivität erwecken. Das bin ich nicht. Daher ist es eine Gratwanderung.
Wie wirkt sich diese Gratwanderung auf das Amt aus?
T. H.: Das Amt wird von Realpolitik gekennzeichnet. Der Bürgermeister gibt nur die Richtung vor, die Entscheidung trifft der Stadtrat. Da geht es um Mehrheiten. Es ist ein Wettbewerb der Ideen und manchmal komme ich mit meinen Ideen durch, manchmal funktioniert es nicht. Da bin ich aber sportlich genug, um das anzuerkennen. Dann muss man eben Kompromisse finden, die mich auch nicht immer komplett zufriedenstellen.
Gäbe es ein Zitat oder ein Motto, mit dem Sie Ihr Leben überschreiben würden?
T. H.: Es gibt einige Zitate, die da passen würden. Ganz zentral ist: Es ist nicht dankbar, wer glücklich ist, sondern glücklich, wer dankbar ist. Das ist ein wichtiges Motiv für mich, da ich dankbar für mein Leben bin. Da würde ich mich als sehr glücklichen Menschen bezeichnen. Dann gibt es von Thor Heyerdahl: ‚Grenzen? Ich habe noch keine gesehen, aber ich weiß, dass sie in Köpfen von Menschen existieren.‘ Da steckt für mich sehr viel Wahres drin. Ebenso wie in der Rede von Steve Jobs in Stanford, die er mit ‚Stay hungry, stay foolish!‘ (deutsch: Bleib hungrig, bleib töricht!) beendete. Der Hunger, etwas bewegen zu wollen, soll nie aufgegeben werden.
Herr Heydecker, ich danke Ihnen für dieses interessante Gespräch. (Manuel Habermeier)
Dieser Artikel ist im blättle, Ausgabe 59 - November/Dezember 2024 erschienen. Hier das E-Paper lesen.